Wolfgang Borchert, der am 20. Mai 1921 in Hamburg geboren wurde und am 20. November 1947 im Clara-Spital zu Basel gestorben ist, schrieb die Kurzgeschichte “Das Holz für morgen" bereits im Krankenbett. Da er seit 1946, von seinem teilweise sehr hartem Leben hervorgerufen, durch Gelbsucht und Fleckfieber fast völlig ans Bett gebunden war, ging er dazu über, ganze Serien von Kurzgeschichten zu schreiben, wovon zwei Bände noch vor seinem Tod erschienen. Da diese von den amerikanischen short stories abstammenden Kurzgeschichten in der Nachkriegszeit das modernste und populärste Mittel für Autoren waren, um das Volk zu erreichen, gelangte W. Borchert eigentlich erst am Ende seines jungen Lebens zu dem verdienten Ruhm. Werke wie die oben erwähnten Sammelbände “Die Hundeblume" (1947) und sein Antikriegsmanifest “Dann gibt es nur eins !" (1947) zählen zu den populärsten, wohingegen diese Geschichte erst 1962 in dem Band “Die traurigen Geranien und andere Geschichten" veröffentlicht wurde. Eine Geschichte, die, meiner Meinung nach, sehr von seinem Krankenaufenthalt und vom Bewußtsein des bevorstehenden Todes geprägt ist, die aber auch vor allem den vielen direkt vom Krieg geschädigten Menschen Hoffnung machen soll, aber auch die Wirren, Leiden und Gefühle bei Menschen, die mit den Folgen des zweiten Weltkrieges zu kämpfen haben, darstellt.
Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte “Das Holz für Morgen" aus dem Jahr 1946 handelt von einem jungen Mann, dessen Leben am seidenen Faden hängt, weil er die Erlebnisse, die er im Krieg und in der Nachkriegszeit gemacht hat, nicht verkraftet, und deswegen Selbstmord begehen will.
Jener junge Mann verläßt die Wohnung seiner Eltern mit dem Gedanken, sich auf dem Dachboden umzubringen. Er hat diesen Entschluß gefaßt, da er sich von seiner Umwelt nicht verstanden fühlt und auch seine Kriegserlebnisse nicht verarbeiten kann. Auf dem Weg hinauf zum Dachboden, auf welchem er sich erhängen will, entdeckt er seit Jahren zum ersten Mal wieder einen weißen Streifen auf dem Treppengeländer, der ihn an seine Kindheit erinnert, da er diesen selber vor elf Jahren mit einer Feile hineingeritzt hatte. Da damals nicht entdeckt wurde, daß er der Schuldige war und so alle Mieterparteien einen Mietaufschlag zahlen mußten, schreibt er ein Geständnis, legt Geld dazu und schließt somit seine Vergangenheit ab. Als er jedoch seinen Weg fortsetzen will unterbricht ihn die Stimme seiner Mutter unten im Hausflur, die einem Mädchen einen Einkaufsauftrag erteilt. Das Mädchen soll Seifenpulver bestellen, da ihr Sohn Feuerholz für die morgige Wäsche besorge. Diesen Auftrag, nämlich Feuerholz zu besorgen, hatte er in seinen Selbstmordgedanken ganz vergessen und ohne zu zögern kehrt er um und geht die Treppen wieder hinunter, vergißt seine Selbstmordgedanken und springt die letzten Stufen schließlich losgelöst und erleichtert hinunter.
Dieser kurze Ausschnitt aus dem Leben eines jungen Mannes in der Nachkriegszeit zeigt den Wahnsinn des Krieges und dessen Nachwirkungen auf die Menschen. Der junge Mann, der im Krieg als Soldat gedient hat, (“Das war, daß die anderen es nicht schießen hörten … (Z. 13 f.), “… und daß der Junge wieder da ist. … Das hat er die ganzen Jahre nicht tun können. (Z. 101 ff.)) verkraftet diese Erlebnisse nicht und hat den Entschluß gefaßt, sich umzubringen. Er fühlt sich von seiner Umgebung nicht verstanden, da diese ihre Kriegserlebnisse teilweise anders verarbeiten als der sensible Mann (“…, daß er nachts weinen konnte, ohne daß die, die er liebte, ihn hörten. … , mit ihnen lachen konnte und dabei einsamer war als je. (Z. 9 ff.)). Seine Umwelt, in die er nach Kriegsende zurückgekehrt ist, verdrängt also die Kriegserlebnisse oder hat ihn nicht so direkt miterlebt, wie der Mann, der als Jugendlicher zur Armee mußte (“Das hat er die ganzen Jahre nicht tun können." (Z. 103) “…, daß es schon elf Jahre her war …" (Z. 87 f.)). Die Dramatik und Spannung der Geschichte macht jedoch die Tatsache aus, daß das Leben dieses Kriegsopfers sprichwörtlich am seidenen Faden hängt. Durch zwei völlig zufällige und normale Vorkommnisse kommt er von seinen Selbstmordgedanken ab. Zuerst entdeckt er auf seinem Weg zum Dachboden einen weißen Strich auf dem Treppengeländer, der in ihm eine Erinnerung an seine Kindheit hervorruft. Da er damals das Treppengeländer zerkratzt hatte und es nicht gestanden hatte, mußten alle Mietparteien eine Erhöhung zahlen. Dafür fühlt er sich jetzt in seiner geistigen Verwirrung immer noch schuldig, schreibt ein Geständnis und legt alles Geld bei, das er dabei hat (“Und er vergaß ganz, daß sich keiner mehr daran erinnern würde. Er vergaß, daß es schon elf Jahre her war, daß vergaß er." (Z. 86 ff.)). Durch diese Erinnerung und die dadurch verronnene Zeit wird er Zeuge eines Gespräches zwischen seiner Mutter und einem Mädchen, in welchem es darum geht, daß das Mädchen Seifenpulver für die morgige Wäsche bestellen soll, da ihr Sohn heute das Feuerholz besorge. Sie macht dem Mädchen immer wieder klar, daß es deswegen wichtig sei und bringt damit für den Leser deutlich sichtbar immer wieder ihre Freude über seine Rückkehr zum Ausdruck. (“Sag ihr, das wäre für Vater eine große Erleichterung, daß er nicht mehr mit dem Holzwagen los braucht und daß der Junge wieder da ist. Der Junge ist extra los heute. (Z. 97 ff.)). Sorgen über seinen geistigen Zustand macht sie sich anscheinend nicht. Sie spürt nicht, daß mit ihrem Sohn etwas nicht in Ordnung ist und behandelt ihn deshalb so normal wie früher. Und genau das scheint er nicht zu verkraften, er braucht mehr Liebe als sie denkt (“Er wurde nicht von denen verstanden, die er liebte. Und gerade das hielt er nicht aus, dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte." (Z. 4 ff.)). Aber gerade mit diesem Gespräch rettet sie ihm unbewußt das Leben, denn der junge Mann entscheidet sich umgehend, ohne weiter an seinen Selbstmord zu denken, seinen Auftrag zu erfüllen und läuft die Treppe mit großen Schritten erleichtert hinunter. Auch hier kann man seinen desolaten geistigen Zustand erkennen, da er ohne zu zögern seine Selbstmordgedanken aufgibt und nun dieser Auftrag das Wichtigste für ihn ist. Der seidene Faden ist also nicht gerissen, was wahrscheinlich auch so beabsichtigt ist, damit diese Geschichte Hoffnung spendet (“Hier unten aber mußten die Lampen brennen. Jeden Tag. Alle Tage." (Z. 122 ff.)) für die Kriegsopfer, die die Nachkriegszeit durchstehen müssen, damals wie heute.
Denn schon allein durch die Anonymität der Personen, die unspektakulären Gedanken und die Art des Selbstmordes wird von Borchert die Möglichkeit einer Übertragung auf die unzähligen, auch psychisch, geschädigeten Kriegsopfer gegeben (“Das Leben, das er nicht verstand und in dem er nicht verstanden wurde." (Z. 3 f.) “Da wollte er sich noch einmal laut sagen … und dann wollte er es tun. Dann würde er es tun." (Z. 91 ff.)). Gänzlich anonym bleibt für den Leser dieser junge Mann schließlich doch nicht, was durch eine Dreiteilung des Textes erreicht wird. Im zweiten Teil (Z. 51-79) erfährt man doch etwas persönliches über ihn. Wahrscheinlich wollte der Autor hier aber auch zeigen, daß der Krieg aus dem einst fröhlichen Jungen (“ … und dann bin ich in vollem Tempo die Treppen runtergesaust … “ (Z. 55 f.)) ein suizidgefährdetes Kriegsopfer gemacht hat, das am Rand zum Abgrund steht und nur durch einen Zufall gerettet wird.
Überhaupt steht die Dramatik der Geschichte wohl eng mit der Erzählzeit in Zusammenhang, da Borchert sowohl im ersten (vor Z. 51) als auch im letzten Teil (ab Z. 80) linear (mit teilweisen Dehnungen) erzählt, aber der mittlere Teil dazu beiträgt, daß das “Timing" für den dritten Teil stimmt. Denn dadurch, daß er anhand des Geländers in eine Erinnerung verfällt, die ihn zum Schreiben seines Geständnisses bringt, verrinnt Zeit, aufgrund welcher er Zeuge des Gesprächs wird, das so seinen Freitod verhindert. Parallel dazu verläuft natürlich auch die Spannungskurve beim Leser. Er wird unmittelbar gleich zu Beginn mit der Verzweiflung und Endgültigkeit eines Selbstmörders konfrontiert (“Nun stand er im Treppenhaus und wollte zum Boden hinaufgehen und sich das Leben nehmen." (Z. 16 ff.)). Diese wird weiter gesteigert während der junge Mann seine Gedanken zum Selbstmord schildert. Vor allem die gut durchdachte Todesart, still und unspektakulär, ruft beim Leser starkes Unbehagen hervor, da es so scheint als könne ihn niemand mehr davon abhalten (“Er hatte die ganze Nacht überlegt wie er das machen wollte, … zum Erschießen hatte er nichts und Vergiften war ihm zu unsicher. … ertränken, das fand er zu pathetisch, … aus dem Fenster stürzen, fand er zu aufgeregt." (Z. 18 ff.)). Kurz darauf kann der Leser noch einmal aufatmen, da der Mann durch die Erinnerung an die Treppe aufgehalten wird. Als er jedoch sein Geständniss schreibt und seinen Weg zum Dachboden fortsetzt, steigt die Spannung ins Unerträgliche, da er sich nun selber zum Selbstmord ermahnt und durch das Geständniss mit seiner Vergangenheit abgeschlossen hat. So scheint das Unglück unaufhaltbar. (“ … und dann wollte er es tun. Dann würde er es tun." (Z. 93 f.)). Mit anhaltender Spannung wird das Gespräch der Mutter belauscht und schließlich entspannt sich der Leser, da der junge Mann beschlossen hat, das Holz zu besorgen und nicht weiter an Selbstmord denkt. Genauso erleichtert und hoffnungsvoll wie dieser Mann, als er die Treppen hinunterrennt, fühlt man sich schließlich und liest am Ende noch den mutmachenden Satz des Autors: “Hier unten aber mußten die Lampen brennen. Jeden Tag. Alle Tage." (Z. 122 f.).
Bei genauerer Betrachtung des Textes fallen dem Leser auch verschiedene Stilmittel auf, die Borchert zum einen benutzt, um die Verwirrung und die zerstörte Gedankenwelt des jungen Mannes darzustellen, zum anderen einfach um den Text und dessen Intention hervorzuheben. Da wären zuerst die immer wieder vorkommenden Wiederholungen, die benutzt werden, um die geistige Verwirrung und die bedrohliche Bestimmtheit seines Vorhabens, den Selbstmord, den er sich so immer wieder einredet, auszudrücken (Z. 89 ff.) (Z. 3 ff.). Auch die rhetorische Figur der Antithese wird am Ende des Textes benutzt, um die hoffnungsspendende Intention hervorzuheben. Denn sie ist kein Bestandteil der Handlung, sondern ein Einschub des Autors (“Ganz oben ließ das dicke Glasdach einen blassen Himmel hindurch. Hier unten aber mußten die Lampen brennen." (Z. 121 ff.). Durch ständige Verwendung von Parallelismen, vor allem in der Anfangsphase des ersten Teils, hebt Borchert die Bestimmtheit des Vorhabens den Selbstmord zu begehen hervor. Der junge Mann rechtfertigt sich mit einem monotonen, fast schon hypnotisierenden Satzbau und redet sich so mit immer sich gleichenden Gedanken den Selbstmord förmlich ein. (Z. 3 ff.) Als letzte Stilfigur läßt sich die Anapher im gleichen Abschnitt feststellen, in welchem schon die meisten Parallelismen festgestellt werden konnten. Sie sollen auch die sensible Seite und die starken Gefühle für seine Familie, bzw. Umwelt darstellen, aber auch seine Hilflosigkeit und Verwirrung, da er das “ … Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte." (Z. 6) nicht verkraftet. (“… die er liebte …" (Z. 6 ff.) “Das war, …" (Z. 9-16)).
Zuletzt untersucht man die verwendete Sprache und entdeckt fast keine Auffäligkeiten: Die Sprachebene befindet sich auf alltäglichem Niveau, der Satzbau ist kurz und präzise, was aber wiederum auf den desolaten geistigen Zustand des jungen Mannes zurückzuschließen ist, da dieser sich so seinen Selbstmord einredet und er fast völlig den Blick für seine Umwelt verloren hat. Nur an zwei Stellen wird etwas sprachlich besonders ausgeschmückt. Es sind die genauen Beschreibungen des Daches “… , das von ganz feinem Maschendraht wie von Spinngewebe durchzogen war, ließ einen blassen Himmel hindurch, der hier oben dicht unter dem Dach am hellsten war." (Z. 36 f.). Doch hier darf man nicht den Fehler begehen, diesen Einschub, bei flüchtigem Lesen, für einen plötzliche Erweiterung des Bewußtseins unseres Mannes zu halten. Nein, denn der ist nur mit seinen Suizidgedanken beschäftigt. Hier greift Borchert ein, und setzt einen Hoffnungschimmer, wie er es in vielen seiner Texte tut. Dem geübten Leser fällt diese plötzliche Ausschmückung auf und genau das will Borchert erreichen. Wie schon am Anfang meiner Interpretation erwähnt schrieb er diese Geschichte bereits im Krankenbett. Doch er kämpfte bis zuletzt gegen sie an und gab nie die Hoffnung auf. Wahrscheinlich rissen oder reissen sich die Leute eben wegen dieser, in seinen Geschichten immer wieder vorkommenden, Hoffnungsschimmer, in schweren Zeiten um seine Geschichten. Also ist auch dies eine typische Borchertgeschichte, sie gab und gibt uns Hoffnung in schweren Zeiten, besonders im Krieg.