Übersicht über die Kindheits- und Jugendjahre von Hermann Hesse:
1877
Hermann Hesse wird am 2. Juli in Calw geboren.
Vater:
ohannes Hesse (1847-1916), baltischer Missionar;
später übernimmt er die Leitung des Calwer Verlagshauses.
Mutter:
Marie, geb. Gundert, verw. Isenberg (1842-1902), Tochter des Indologen und Missionars Dr .Hermann Gundert.
1881
Umzug der Familie nach Basel, da Hesses Vater dort Lehrer im Missionshaus ist. Dort erwirbt Hesse die Schweizer Staatsangehörigkeit.
1886
Rückkehr nach Calw, Hesse besucht die Lateinschule.
1890
Hesse besucht das Gymnasium in Göppingen zur Vorbereitung auf das Landexamen. Als staatlicher Schüler muss Hesse auf seine Schweizer Bürgerrechte verzichten und wird deshalb württembergischer Staatsbürger.
1891
Hesse besteht im Juli das württembergische Landexamen und wird im September zum Seminarist im evangelisch-theologischen Klosterseminar Maulbronn.
1892
Hesse flieht am 7. März auf Grund schwerer seelischer Konflikte aus dem Kloster, kehrt nach einem Tag wieder zurück, muss aber seine Ausbildung im Mai beenden, da sich seine Krise verschlimmert. Daraufhin wird Hesse in verschiedene Anstalten gebracht. Zuerst in die Anstalt Bad Boll. Dort begeht er einen Selbstmordversuch. Daraufhin muss er in die Anstalt Stetten, in der Nähe von Stuttgart. Zuletzt kommt er in die Knabenanstalt nach Basel.
1892
Im Oktober wird Hesse zum Lehrling in der Buchhandlung Mayer in Esslingen, aber schon nach drei Tagen flieht er vor seiner neuen Aufgabe. Daraufhin beschäftigt ihn sein Vater einige Monate bei sich zu Hause.
1893
Im Oktober wird Hesse zum Lehrling in der Buchhandlung Mayer in Esslingen, aber schon nach drei Tagen flieht er vor seiner neuen Aufgabe. Daraufhin beschäftigt ihn sein Vater einige Monate bei sich zu Hause.
1894-1895
Hesse entschließt sich zu einer Mechanikerlehre, die er im Juni 1894 beginnt und 1895 im September beendet.
1895- 1898
Im Oktober 1895 geht Hesse nach Tübingen und beginnt dort eine mehrjährige Lehre in der Buchhandlung Heckenhauer. Trotz anstrengender Arbeit und wenig Freizeit beginnt Hesse mit einem autodidaktischen Studium, liest sehr viel – vor allem Goethe -und findet immer mehr zu sich selbst.
Erste selbstständige Veröffentlichung: "Romantische Lieder"

Die Kindheitsjahre:
Hermann Hesse verbringt seine ersten vier Kindheitsjahre (1877-1881) in seiner Geburtsstadt Calw. Seine ungewöhnlichen Begabungen sowie sein starker Wille und sein Eigensinn werden schon früh entdeckt. So schreibt seine Mutter Marie Hesse im Dezember 1879 in ihr Tagebuch: "Hermännle entwickelt sich sehr rasch, erkennt alle Bilder sofort, ob sie aus China, Afrika oder Indien, und ist sehr klug und unterhaltend, aber sein Eigensinn und Trotz ist oft geradezu großartig."
 
Als die Familie 1881 nach Basel umzieht, besucht Hermann Hesse auf seinen eigenen Wunsch die Sonntagsschule im Knabenhaus. Auch dort zeigen sich seine Begabungen und er wird zum Musterschüler. Seine Eltern jedoch sind von seinem 'großartigen Trotz und Eigensinn' nicht mehr so begeistert und überlegen, was sie mit dem schwer erziehbaren und intelligenten Jungen anfangen sollen.
 
"Hermann, der im Knabenhaus fast für ein Tugendmuster gilt, ist zuweilen kaum zu haben. So demütigend es für uns wäre, ich besinne mich doch ernstlich, ob wir ihn nicht in eine Anstalt oder in ein fremdes Haus geben sollten. Wir sind zu nervös, zu schwach für ihn und das ganze Hauswesen nicht genug diszipliniert und regelmäßig. Gaben hat er scheint's zu allem: er beobachtet den Mond und die Wolken, phantasiert lang auf dem Harmonium, malt mit Bleistift und Feder ganz wunderbare Zeichnungen, singt wenn er will ganz ordentlich, und an Reimen fehlt es ihm nie."
 
1886 kehrt die Familie wieder nach Calw zurück. Dort besucht Hesse die Lateinschule. Auch dort lassen Hesses schulische Leistungen nicht nach "…Hermann Latein Erster, im Griechischen Siebenter. Er ist ordentlich…"
Daraufhin besucht er das Göppinger Gymnasium zur Vorbereitung auf das Landexamen. Dort gefällt es ihm sehr gut.
So schreibt der Zwölfjährige an seine Schwester Adele:
"Lustig ist es und nett
In Göppingias Hallen
wo des Stadtbaches Wut
Schäumend am Ufer sich bricht.
Da kommt man in einen rechten Eifer. Da schafft man recht gern. Besonders in der Religion ist Herr Rektor sehr nett. Über ein einziges Wort kann er stundenlang sprechen. Da lernt man viel…"
Der Erfolg seiner Göppinger Schulzeit zeigt sich in dem 1891 bestandenen Landexamen. Hesse darf nun das Maulbronner Klosterseminar besuchen. Doch diese Maulbronner Zeit verläuft für Hesse, der inzwischen vierzehn Jahre alt geworden ist, weniger erfreulich, sondern krisenhaft und verbunden mit Versuchen, vor der Wirklichkeit zu fliehen.

Unterm Rad:
1906 schreibt Hermann Hesse den Roman "Unterm Rad". Dieses Werk ist größtenteils autobiographisch und handelt von einer krisenhaften Zeit in seiner Jugend. Mit diesem Buch versucht Hesse, seine schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten.

Er selbst schreibt viele Jahre später:
"Es war die Zeit, die ich, auch da noch unsicher genug und weit vom wirklichen Verstehen und Überwundenhaben entfernt, zehn Jahre später in der Erzählung 'Unterm Rad' zum ersten Mal zu beschwören versucht habe. In der Geschichte und Gestalt des kleinen Hans Giebenrath, zu dem als sein Mit- und Gegenspieler sein Freund Heilner gehört, wollte ich die Krise jener Entwicklungsjahre darstellen und mich von der Erinnerung an sie befreien, und um bei diesem Versuche das, was mir an Überlegenheit und Reife fehlte, zu ersetzen, spielte ich ein wenig den Ankläger und Kritiker jener Mächten gegenüber, denen Giebenrath erliegt und denen einst ich selber beinahe erlegen wäre: der Schule, der Theologie, der Tradition und Autorität."
 

Hermann Hesse versucht schon früh, sich von dem Druck und Zwang, der auf ihn ausgeübt wird, zu befreien. Er kann und will das Leben nicht annehmen, das für ihn bestimmt ist. Er kämpft für seine Individualität gegenüber der breiten Masse, was schließlich zu einer schweren Krise führt, die Hermann Hesse überwindet, der aber Hans Giebenrath in 'Unterm Rad' erliegt.

Da ich mich ausführlicher mit dieser Jugendkrise von Hermann Hesse beschäftigt habe, welche in dem Buch "Unterm Rad" geschildert wird, habe ich den Inhalt dieses Buches relativ ausführlich zusammengefasst:
Hans Giebenrath lebt in einer kleinen Stadt im Schwarzwald. Sein Vater ist Zwischenhändler und Agent und somit ein "normaler" Bürger. Sein Sohn ist jedoch anders. Hans ist ein sehr begabter und intelligenter Junge und gilt als etwas Besonderes. Deshalb wird er besonders gefördert, denn er soll am Landexamen teilnehmen und es bestehen, damit er das Maulbronner Klosterseminar besuchen darf. Da die meisten Kameraden von Hans weniger begabt sind, ist er der größte Stolz der Stadt und es wird besonders viel von ihm erwartet. Hans bekommt zusätzlich zum Schulunterricht in vielen Fächern Zusatzunterricht, um bestmöglich auf das Examen vorbereitet zu werden. Dadurch hat er kaum Freizeit, keine Freunde und keine Zeit mehr für seine früheren Hobbys. Durch die hohen Erwartungen, die sein Vater, der Stadtpfarrer und der Rektor in Hans setzen, ist Hans stark unter Druck gesetzt. Er will niemand enttäuschen, arbeitet deshalb oft bis spät in die Nacht und leidet ständig unter Kopfschmerzen. Kurz vor dem Examen wird sich Hans bewusst, wie sehr sich sein Leben verändert hat, seitdem alle nur 'das Beste' für ihn wollen.
 
"Er dachte an die Zeit, da er das alles gebaut und geschnitzt und seine Freude daran gehabt hatte. Es war auch schon zwei Jahre her – eine ganze Ewigkeit. (…) Dabei fiel ihm sein Schulfreund August ein. Der hatte ihm geholfen, das Wasserrad zu bauen und den Hasenstall zu flicken. Nachmittage lang hatten sie hier gespielt, mit der Schleuder geschossen, den Katzen nachgestellt, Zelte gebaut und zum Vesper rohe gelbe Rüben gegessen. Dann war aber die Streberei losgegangen, und August war vor einem Jahr aus der Schule getreten und
Mechanikerlehrling geworden."
 

Nachdem Hans das Examen in Stuttgart bestanden hat, ist er glücklich und erleichtert, denn damit hätte er nicht gerechnet. Nach diesem großen Erfolg hat Hans Ferien, in denen er sich erholen kann, und er beginnt wieder zu angeln. Es macht ihm großen Spaß, bis ihm der Stadtpfarrer vorschlägt, Hans in den Ferien in Griechisch zu unterrichten, damit er im Seminar in seinen Leistungen nicht nachlässt. Außerdem bekommt Hans auch noch Mathematik- und Hebräischstunden und hat von da an ein schlechtes Gewissen, wenn er angeln geht. Er konzentriert sich jetzt wieder ganz auf seine Leistungen und opfert seine Freizeit den Vorbereitungen auf das Seminar.
 
"Die Arbeit stand nun wieder in erfreulichster Blüte, und wenn Hans je und je doch wieder eine Stunde angelte oder spazieren lief, hatte er ein schlechtes Gewissen."
 

Nach den Ferien – Hans ist froh, dass sie endlich vorbei sind – wird er von seinem Vater ins Klosterseminar nach Maulbronn begleitet. Dort wohnt er in der Stube "Hellas" mit acht weiteren Seminaristen, einer davon ist Hermann Heilner
"…, ein Schwarzwälder aus gutem Hause. Man wusste schon am ersten Tag, er sei ein Dichter und Schöngeist, und es ging die Sage, er habe einen Aufsatz im Landexamen in Hexametern abgefasst. Er redete viel und lebhaft, besaß eine schöne Violine und schien sein Wesen an der Oberfläche zu tragen, das hauptsächlich aus einer jugendlich unreifen Mischung von Sentimentalität und Leichtsinn bestand. Doch trug er weniger sichtbar auch Tieferes in sich. Er war an Leib und Seele über sein Alter entwickelt und begann schon versuchsweise eigene Bahnen zu wandeln."
 

Hans befreundet sich mit Hermann Heilner, obwohl die beiden zwei sehr unterschiedliche Menschen sind.
 
"Es gab auch ungleiche Paare. Für das ungleichste galten Hermann Heilner und Hans Giebenrath, der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber."
 
Eines Tages versetzt Hermann Heilner einem Mitschüler einen Tritt. Der Ephorus wird Zeuge von dieser Tat und bestraft ihn mit einer schweren Karzerstrafe. Allen Mitschülern wird der Kontakt zu ihm verboten. Hans hat zwar ein schlechtes Gewissen und macht sich Vorwürfe, Heilner verraten zu haben, aber er bricht den Kontakt zu ihm ab. Im Winter gibt es ein Unglück: Der Seminarist Hindinger aus "Hellas" bricht in einem gefrorenen See ein und ertrinkt. Alle sind tief betroffen, doch das führt dazu, dass sich Heilner und Hans wieder vertragen. Hans entschuldigt sich für seine Untreue und der wegen der Karzerstrafe fast vereinsamende Heilner nimmt die Entschuldigung an. Beide waren sehr froh darüber.
 
"Für die beiden aber kamen nun wunderliche Wochen, ohne eigentliche Erlebnisse, aber voll eines seltsam beglückenden Gefühls der Zusammengehörigkeit und eines wortlosen, heimlichen Einverständnisses. Es war etwas anderes als früher."
 
Allerdings verschlechtert sich Hans immer mehr in der Schule. Deshalb redet ihm der Ephorus ins Gewissen und rät ihm seine Freundschaft zu Heilner zu beenden. Diesmal steht Hans aber zu seinem Freund und verteidigt ihre Freundschaft vor dem Ephorus. Damit wird aber auch er zu einem ungeliebten Schüler, der von den Lehrern strenger behandelt wird als früher. Eines Tages flieht Heilner aus dem Kloster und wird erst nach zwei Tagen von einem Landjäger zurückgebracht. Daraufhin wird er von der Schule verwiesen. Jetzt ist Hans alleine und seine Schulleistungen verschlechtern sich kontinuierlich.
 
"Wie ein Hamster mit aufgespeicherten Vorräten, so erhielt sich Hans mit seiner früher erworbenen Gelehrsamkeit noch einige Frist am Leben. Dann begann ein peinliches Darben, durch kurze und kraftlose neue Anläufe unterbrochen, deren Hoffnungslosigkeit ihn schier selber lächerte".
 
Er hat immer wieder starke Kopfschmerzen und ist mit den Nerven am Ende. Schließlich muss er wegen eines Nervenzusammenbruchs nach Hause entlassen werden und keiner erwartet, dass er wieder zurückkommen wird.
Nach seiner Heimkehr wird Hans bewusst, dass er schon die letzten zwei Jahre vor seinem Klosterbesuch keine Freude am Lernen mehr hatte. Jetzt ist er ohne Hoffnung auf ein schönes Leben und spielt mit dem Gedanken, Selbstmord zu begehen. Er denkt viel an seine Kindheit zurück, an die er sich in diesen Tagen besonders gut erinnert und die für ihn fast Wirklichkeit ist.
 
"Wenn ein Baum entgipfelt wird, treibt er gern in Wurzelnähe neue Sprossen hervor, und so kehrt oft auch eine Seele, die in der Blüte krank wurde und verdarb, in die frühlingshafte Zeit der Anfänge und ahnungsvollen Kindheit zurück, als könnte sie dort neue Hoffnungen entdecken und den abgebrochenen Lebensfaden aufs neue anknüpfen. Die Wurzelsprossen geilen saftig und eilig auf, aber es ist ein Scheinleben, und es wird nie wieder ein rechter Baum daraus."
 
Hans sieht in seinem Leben keinen Sinn mehr, gibt den Selbstmordgedanken aber langsam auf und versinkt in einer tiefen Melancholie. Bei der jährlichen Mostpresse hat er wieder etwas Freude und verliebt sich in Emma, die er noch zwei weitere Male besucht. Als Emma abreist, ist Hans sehr traurig und erwacht aus seinem Liebestraum. Aber es kommt eine neue Aufgabe auf ihn zu. Hans wird Lehrling in einer Mechanikerwerkstatt. Es ist nicht einfach für ihn, eine Lehre zu machen, da alle glaubten, dass aus ihm einmal etwas Besseres wird als aus seinen Kameraden. Und jetzt hat er versagt und wird von seinen Kameraden ausgelacht.
 
"So viel Plage, Fleiß und Schweiß, so viel hingegebene kleine Freuden, so viel Stolz und Ehrgeiz und hoffnungsfrohes Träumen, alles umsonst, alles nur, damit er jetzt, später als alle Kameraden und von allen ausgelacht, als kleinster Lehrbub in eine Werkstatt gehen konnte! Was würde Heilner dazu sagen?"
 
Doch mit der neuen Arbeit kommt sich Hans nicht mehr ganz so nutzlos vor und hat wieder mehr Kontakt zu anderen Menschen. August, sein früherer Freund, der auch Mechanikerlehrling ist, lädt Hans ein, seinen ersten Lohn mit ein Paar Freunden zu 'versaufen'. Hans betrinkt sich das erste Mal in seinem Leben und macht sich dann alleine von der Wirtschaft auf den Nachhauseweg. Am nächsten Morgen wird seine Leiche im Fluss gefunden. Er ist ertrunken.

Hesses Zeit im Klosterseminar im Vergleich zu seinem Roman 'Unterm Rad'
Zwischen Hermann Hesse und Hans Giebenrath lassen sich einige Parallelen ziehen. Hermann Hesse, der Musterschüler, scheint am Anfang seiner Zeit in Maulbronn ein zufriedener und glücklicher Seminarist zu sein, dem das Lernen Spaß macht und der sich in seine neue Umgebung gut eingelebt hat. Neben seinen schulischen Aufgaben beschäftigt er sich zusätzlich mit Schiller.

Im Januar 1892 schreibt er in einem Brief an seine Eltern:
"Mit einem Kameraden habe ich ein kleines , klassisches Museum gegründet, wir haben gegenwärtig zehn Mitglieder. Wir lesen klassische Schillerstücke mit verteilten Rollen, deklamieren eigene und andere Gedichte, versuchen uns in kritischen Vorträgen etc. (…) Es geht mir in Schule und Leben ganz ordentlich, hoffentlich auch Euch."
 

Doch kurz darauf flieht Hesse unerwartet aus dem Kloster.
Was bringt ihn so weit, dass er es in dem vor kurzem noch so geliebten Kloster nicht mehr aushielt?
Die Gründe dafür kann man mit den Problemen von Hans Giebenrath und Heilner aus dem Roman 'Unterm Rad' gut vergleichen: Hans ist ein sehr strebsamer und intelligenter Junge, dem das Lernen leicht fällt. Aber seine Begabungen werden von Vater, Stadtpfarrer und Rektor ausgenutzt, die nur 'das Beste' für Hans wollen. In Wirklichkeit wollen sie aber, dass Hans das erreicht, was sie nicht erreicht haben. Hans' Vater ist nur ein einfacher Zwischenhändler. Er will, dass sein Sohn 'etwas Besseres' wird. Doch es war zu viel des Guten. Hans und auch Hesse erfahren zu viel Druck, religiöse Erwartungen und sind Zwängen ausgesetzt, die irgendwann nicht mehr ausgehalten werden können. Doch es wird nicht nur Druck von Fremden ausgeübt, auch Hans Giebenrath selbst ist sehr streng mit sich und sehr ehrgeizig, was dazu führt, dass er sich keine Pause gönnt und immer unter den Besten sein möchte. Hesse war schon von früher Kindheit an ein eigenwilliger Mensch und wollte sich in seine vorbestimmte Zukunft nicht einfügen.
 
"Die Sache war so: von meinem dreizehnten Jahr an war mir das eine klar, dass ich entweder ein Dichter oder gar nichts werden wolle. Zu dieser Klarheit kam aber allmählich eine andre, peinliche Einsicht. Man konnte Lehrer, Pfarrer, Arzt, Handwerker, Kaufmann, Postbeamter werden, auch Musiker, auch Maler oder Architekt, zu allen Berufen der Welt gab es einen Weg, gab es Vorbedingungen, gab es eine Schule, einen Unterricht für den Anfänger. Bloß für den Dichter gab es das nicht! Es war erlaubt und galt sogar für eine Ehre, ein Dichter zu sein: das heißt als Dichter erfolgreich und bekannt zu sein, meistens war man leider dann schon tot. Ein Dichter zu werden aber, das war unmöglich, es werden zu wollen war eine Lächerlichkeit und Schande, wie ich sehr bald erfuhr."
 

So scheitert Hesse im Kloster Maulbronn bei dem Versuch, ein Dichter zu werden. Ähnlich ergeht es Heilner. Er ist auch sehr begabt und manche nennen ihn ein Genie. Doch für solch außergewöhnlich Begabte gibt es in einer Einrichtung wie dem Seminar keinen Platz.

"Ein Schulmeister hat lieber einige Esel als ein Genie in seiner Klasse, und genau betrachtet hat er ja recht, denn seine Aufgabe ist es nicht extravagante Geister heranzubilden, sondern gute Lateiner, Rechner und Biedermänner."

Deshalb flieht Heilner, genau wie Hesse aus dem Seminar. Hans dagegen wird in der Schule immer schlechter und bekommt schließlich einen Nervenzusammenbruch. Auch Hesse verschlechtert sich immer mehr in seinen Leistungen und wird nach einem Nervenzusammenbruch nach Hause entlassen. Hesse vergleicht sich einerseits mit Heilner, dem Dichter, dem Genie, andererseits aber auch mit dem strebsamen Hans, den man durch Zwänge um seine Jugend bringt.
 
"Man erinnere sich: die erste Wandlung war eingetreten in dem Augenblick, wo mir der Entschluss bewusst wurde, ein Dichter zu werden. Der vorherige Musterschüler Hesse wurde von da an ein schlechter Schüler, er wurde bestraft, er wurde hinausgeworfen, er tat nirgends gut, machte sich und seinen Eltern Sorge um Sorge – alles nur, weil er zwischen der Welt, wie sie nun einmal ist oder zu sein scheint, und der Stimme seines eigenen Herzen keine Möglichkeit einer Versöhnung sah."

Die Zeit in den Anstalten:
Nach dem misslungenen Klosterbesuch begannen für Hermann Hesse Jahre, in denen er immer wieder neue Versuche beginnt seinem Leben einen Sinn zu geben, jedoch immer wieder scheiterte.
 
"Mit der Flucht aus Maulbronn, die zunächst nicht viel anderes als die Kurzschlussreaktion eines sensiblen, phantasievollen und leicht erregbaren jungen Menschen war, begann eine Zeit schwerer seelischer Konflikte, die sich in Nervenkrisen äußerten, im Grunde aber ein verzweifelter Kampf um Selbstbehauptung waren, um Verteidigung des eigenen Ichs und des früh bewusst gewordenen Dichtertums gegenüber den starren religiösen Traditionen der Familie und gegenüber all den mächtigen und so gesicherten Autoritäten, von denen er sich umstellt sah."
 

Hesse wird in verschiedene Anstalten geschickt, um sein Nervenleiden zu behandeln, aber es zeigen sich keine Erfolge. Der erste Versuch ist die Anstalt Bad Boll. Doch auch dort kann sich Hesse nicht von seinen Depressionen befreien.
Er schreibt in einem Brief an seine Eltern:
"In meinem Kopf ist's so heiß, ich spüre meist so einen unbestimmten, drückenden Schmerz, besonders in Brust und Stirn, dass ich mich noch nicht recht hier anschließen konnte."
 
Danach wechselt Hesse in die Anstalt Stetten. Er versinkt in eine tiefe Melancholie und Hoffnungslosigkeit, die sich in einem sehr bewegenden Gedicht äußert, das der vierzehnjährige Hesse an seinem ersten Tag in der neuen Anstalt schreibt:
 
Auch ich hab einst nach dem Glücke gestrebt,
Auch ich bin nicht lächelnd durchs Leben geschwebt,
Doch alles ist lange verflogen,
Verflogen der Traum von Freude und Scherz,
Erfroren, erstarrt das glühende Herz,
Und die kindliche Unschuld betrogen.
Die Kindheit, sie ist so schnell verschäumt
Und der Traum der Liebe so schnell verträumt,
Verklungen die heiteren Lieder,
Und der Glaube, der frohe, hoffende Sinn,
Mit Lenz und Tugend ist lange dahin
Und nimmer kehret er wieder.
Das Leben, es war so hell und so süß
Und die blühende Erde ein Paradies,
Und jetzt ist alles verdorben,
Das Spiel und der Scherz und der Erde Tand
Und der wagende Mut erlosch, entschwand,
O wär ich doch lange gestorben!
Der Sommer ging und der Winter kam
Und im Herzen wohnt mir ein ewiger Gram
Und ein ewiges, schmerzliches Sehnen,
Der Morgen kommt und der Morgen geht
Und am Abend ist alles, alles verweht
Und bleiben mir nur die Tränen.
Hermann Hesse, Stetten, 28. Juni 1892

Diesem Gedicht folgen noch einige dieser Art. Hermann Hesse entwickelt einen Hass auf seinen Vater. Er gibt ihm die Schuld an seiner Lage. Er möchte in Briefen nicht mehr 'Lieber Hermann' von ihm genannt werden. Aus der Anstalt schreibt der depressive und verzweifelte Hesse an seinen Vater:
 
"Da Sie sich so auffällig opferwillig zeigen, darf ich Sie vielleicht um 7 M oder gleich um den Revolver bitten. Nachdem Sie mich zur Verzweiflung gebracht, sind sie doch wohl bereit, mich dieser und sich meiner rasch zu entledigen. Eigentlich hätte ich ja schon im Juni krepieren sollen. (…) Aus dem 'lieben Hermann' ist ein anderer geworden, ein Welthasser, eine Waise, deren 'Eltern' leben…"
 
Er unterschreibt diesen Brief mit ' H. Hesse, Gefangener im Zuchthaus zu Stetten'. In Stetten begeht Hesse einen Selbstmordversuch, nachdem seine Liebe zu einer Frau nicht erwidert wird. Auch hier zeigen sich wieder Parallelen zwischen ihm und seiner Romanfigur Hans Giebenrath. Hans will sich nach seinem schulischen Versagen im Wald erhängen. Es bleibt jedoch bei dem Vorhaben. Im Oktober 1892 verlässt Hesse die Anstalt Stetten. Daraufhin verbringt er ein paar Wochen in der Knabenanstalt in Basel. Im November geht Hesse nach Bad Cannstatt und besucht dort das Gymnasium. Er beginnt langsam an sich zu arbeiten.

Hermann Hesses Lehrjahre:
Mit sechzehn Jahren beginnt Hesse eine Buchhändlerlehre, die er jedoch schon nach drei Tagen abbricht. Daraufhin holt ihn sein Vater zurück nach Calw, wo er sich jedoch sehr unwohl fühlt. Hesses Verhältnis zu seinem Vater ist schwer gestört. Er schreibt ihm einen Brief, in dem er ihn um Geld bittet. Er möchte nun seine eigenen Träume verwirklichen und nicht das sein, was andere für ihn vorgesehen haben.
 
"…ich fühlte zu allem, was Ihr aus mir machen wolltet, keine Lust, keine Kraft, keinen Mut. Wenn ich so ohne jedes Interesse an meiner Arbeit Stunde um Stunde im Geschäft oder Studium war, ergriff mich der Ekel. (…) Mit Euren Plänen, zu denen ich ja gesagt, ist es nichts geworden; darf ich es, ehe ich ins Irrenhaus gehe oder Gärtner oder Schreiner werde, nicht doch einmal mit meinen Plänen versuchen."
 
Hesse nennt seinem Vater allerdings nicht sein Ziel. Er spricht nicht davon, dass er sein Glück als Dichter versuchen will. Sein Vater bleibt seinem Vorhaben gegenüber skeptisch und traut Hesse keinen Erfolg zu. Hesse entschließt sich dann jedoch, in die Calwer Turmuhrenfabrik als Mechanikerlehrling einzutreten. In dieser Zeit ergeht es ihm ähnlich, wie es Hans Giebenrath während seiner Mechanikerlehre ergeht. Hesse fühlt sich nicht mehr nutzlos. Die Arbeit ist zwar hart und anstrengend, aber sie hilft ihm, seine Krise zu überwinden. Nach diesem ersten Erfolg seit einiger Zeit entschließt sich Hesse, eine Buchhändlerlehre zu machen.
 
1895 geht Hesse nach Tübingen und wird dort vier Jahre lang zum Lehrling in der Buchhandlung Heckenhauer. Schon allein dieser lange Zeitraum zeigt, wie stark sich Hesse in der letzten Zeit verändert hat. Er hat sich jetzt zu einem Beruf entschlossen, den er selbst gewählt hat. Das ist wahrscheinlich der entscheidende Punkt, warum Hesse diese vier Jahre in Tübingen bleibt und nicht auch diese Lehre frühzeitig abbricht. Die Lehrjahre waren nicht immer schön und interessant und eigentlich will Hesse ein Dichter werden, aber er bleibt vorerst bei seiner Arbeit. Die schweren Jahre der Pubertät und Rebellion sind überstanden. Hesse ist erwachsener geworden.
 
"Die Tübinger Jahre bilden eine Zeit strenger Selbsterziehung."
 
Hesse selbst schreibt zu dieser Zeit: "Es muss jeder selber sorgen, dass er lernt und wird, dass er frei wird und sich das Auge bewahrt fürs Wahre und Edle."
 
Er nutzt nach seiner anstrengenden Arbeit jede freie Minute zum Lesen. Er betreibt ein autodidaktisches Studium, in dem er sich hauptsächlich mit Goethe beschäftigt. Es zeigen sich auch erste kleine dichterische Erfolge. Es werden erste Gedichte von Hesse in Zeitschriften gedruckt. 1898 erscheint seine erste selbstständige Veröffentlichung 'Romantische Lieder'.
 
Hermann Hesse schreibt in einem Brief zu seiner nicht einfachen, aber erfolgreichen Entwicklung folgendes:
"… Ich verließ Maulbronn, krank und verdorben durch allzu bunte Lektüre, ich fühlte mich unverstanden, elend, die Ahnung des Weltschmerzes quälte mich – nervenkrank musste ich Bad Boll besuchen. Und da begann innen und außen ein neues Leben. Nach einigen recht glücklichen Wochen musste ich auch Boll verlassen, ganz krank und trostlos, von Selbstmordgedanken gequält. Es war eine Liebesgeschichte. Damals geriet ich in die haltlose, revolutionäre, düstere Stimmung, abwechselnd mit Zeiten der ausgelassensten Lustigkeit, in den grausten Weltschmerz, ich war in Stetten, in Basel, im Winter jenes Jahres kam ich nach Cannstatt. Jetzt erst habe ich allmählich wieder Ruhe und Heiterkeit gefunden, bin geistig gesund geworden – von jener bösen Zeit voll Zorn und Hass und Selbstmordgedanken will ich nimmer sprechen, (…) Jetzt ist diese Zeit vorbei. Immerhin hat sie mein dichterisches Ich ausgebildet; die tollste Sturm- und Drangzeit ist glücklich überstanden."

Schlusswort:
Die Beschäftigung mit Hermann Hesses Jugendjahren hat mich fasziniert: Die Literatur mit den authentischen und spannenden Zeugnissen war interessant zu lesen. Das ist auch der Grund, warum ich relativ viele dieser Quellen in Form von Zitaten in meine Hausarbeit aufgenommen habe und Hesse damit selbst viel aussagen ließ. Besonders Quellen, die von Hesse selbst stammen, wie sei ne Briefe und Gedichte, bringen seine inneren Kämpfe, sein dichterisches Talent in jungen Jahren und seine bewegenden Auseinandersetzungen mit seinen Eltern zum Ausdruck. Besonders in den Briefen wird klar, wie weit die Zeit, in der Hesse aufwächst, von unserer modernen heutigen Zeit entfernt ist. (Heute würde kein Kind oder Jugendlicher seine Eltern mehr mit 'Sie' ansprechen!) Trotzdem sind seine Probleme in gewisser Weise auf heute übertragbar. Viele Jugendliche finden sich darin wieder.
 
Peter Härtling schreibt dazu 1977: "Ich war vierzehn oder fünfzehn, als ich 'Unterm Rad' las. Hier sprach einer das aus, was mich schier erstickte. Er tat es nicht in der distanzierten Sprache der besserwisserischen Erwachsenen, er schien mir vielmehr noch im nachhinein verstrickt, und seine Phantasien glichen den meinen. So habe ich auch andere Bücher Hesses gelesen. Er war mir vertrauter als die meisten Schriftsteller, denn ihm habe ich mich wenigstens einmal, ohne dass ich ihn kannte, anvertrauen können."
 
Hesses Schicksal ist aber auch ein hoffnungsvolles Beispiel für all diejenigen, die denken, dass es nicht mehr weitergeht und dass es keinen Ausweg mehr gibt. Er kann ein Vorbild sein für alle, die sich in einer ähnlichen Krise befinden. Außerdem zeigt Hesse, dass man seine eigenen Träume nicht so einfach aufgeben soll, auch wenn alles dagegen spricht. Mit einem starken Willen und viel Selbstbewusstsein, aber auch mit viel Talent, ist es Hesse gelungen, sich durchzusetzen und seinen Traum zu verwirklichen.


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