In den letzten Jahren ist der Bedarf an Beratung von Betroffenen mit exzessivem bzw. süchtigem Video- und Computerspielverhalten und deren Angehörigen im Kindes- und Jugendalter stark angestiegen und spiegelt den hohen Bedarf an Aufklärung und Hilfemaßnahmen wieder. Dabei scheint insbesondere der Computerspielsucht – entgegen dem weiter gefassten Begriff der sogenannten "Internetabhängigkeit" oder "Online-Sucht" – eine besondere Rolle zuzukommen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass eine häufige Computer- oder Konsolennutzung nicht immer gleich eine krankhafte süchtige Nutzung ist. So müssen mindestens drei Merkmale bzw. Kriterien einer Abhängigkeitserkrankung in Bezug auf das Nutzungsverhalten über einen längeren Zeitraum hinweg zutreffen.
 
Zentrale Merkmale des Störungsbildes Video- und Computerspiel-Sucht sind:
Einengung des Verhaltensmusters 
Durch die herausragende Bedeutung wird das Computerspielen zur wichtigsten Aktivität des Betroffenen und dominiert sein Denken (andauernde gedankliche Beschäftigung, auch verzerrte Wahrnehmung und Gedanken in Bezug auf das Computerspielen), seine Gefühle (unstillbares und unwiderstehliches Verlangen) und sein Verhalten (Vernachlässigung sozial erwünschter Verhaltensweisen).
 
Regulation von negativen Gefühlszuständen (Affekten)
Durch die beim Computerspielen verspürte Erregung (Kick- oder Flow-Erlebnisse) oder Entspannung ("Abtauchen") werden negative affektive Zustände im Sinne einer vermeidenden Stressbewältigungsstrategie verdrängt.
 
Toleranzentwicklung
Die gewünschte Wirkung durch das Computerspielen kann nur durch zunehmend häufigere oder längere Computerspielzeiten (möglicherweise auch durch immer extremere Spielinhalte) erzielt werden.
 
Entzugserscheinungen
Bei verhindertem oder reduziertem Computerspielen treten diese in Form von Nervosität, Unruhe und/oder vegetativer Symptomatik (Zittern, Schwitzen etc.) auf.
 
Kontrollverlust 
Das Computerspielverhalten kann in Bezug auf zeitliche Begrenzung und Umfang nicht mehr kontrolliert werden • Rückfall Nach Zeiten der Abstinenz oder Phasen kontrollierten Computerspielverhaltens kommt es zu einer Wiederaufnahme des unkontrollierten, exzessiven Computerspielen
 
Schädliche Konsequenzen
Durch eindeutig schädliche Konsequenzen für Schule/Beruf, soziale Kontakte und Hobbys aufgrund des exzessiven Computerspielens kommt es zu innerpsychischen Problemen beim Betroffenen und zwischenmenschlichen Konflikten mit 
der sozialen Umwelt.
 

Wenn das Internet zur Sucht wird

In Nordfriesland gibt es die einzige stationäre Einrichtung, die Computersüchtige und Glücksspielabhängige behandelt. Ein Besuch.

Breklum – Es wurde immer mehr. Erst eine Stunde, dann vier, zum Schluss waren es bis zu 14 Stunden pro Tag, die Thorsten Blinkmann vor dem Computer verbrachte, um im Internet Poker zu spielen. "Meine Freundin hatte mit mir Schluss gemacht, ich war irgendwie fertig, suchte Ablenkung. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich bin da in eine Abhängigkeit reingerutscht", sagt der 33-Jährige, der in der Außenstelle des Fachkrankenhauses Nordfriesland in Breklum aufgenommen wurde.
Es ist die einzige Einrichtung in Schleswig-Holstein und eine der wenigen in ganz Deutschland, die Menschen wie ihm stationäre Hilfe anbietet. "Das Bewusstsein vieler Menschen, dass sie ein Problem mit der exzessiven Nutzung des Internets haben könnten, nimmt immer mehr zu. Wir werden in den kommenden Jahren vermutlich immer mehr Fälle von Medienabhängigkeit bekommen", sagt Therapeut Günter Mazur, der in Breklum das Behandlungskonzept entwickelt hat.

"Ich habe alles vernachlässigt, weil ich von der Maschine nicht mehr losgekommen bin"

In Gruppen- und Einzeltherapie versuchen die Therapeuten, den Patienten eine Strategie zu vermitteln, wie ein Leben ohne Mediensucht aussehen kann. "Das ist nicht leicht, denn wir können in unserer heutigen Welt nicht mehr ganz auf den PC verzichten. Es sei denn, man will sich einmauern", sagt Mazur. "Deshalb orientiert sich unser Konzept auch an der Behandlung von Essgestörten." So erstellen die Therapeuten mit den Patienten einen Stufenplan zum Umgang mit dem PC, versuchen Alternativen anzubieten, die die Lücken im Alltag schließen sollen, die sonst mit der Nutzung des Internets ausgefüllt waren.

"Ich habe alles vernachlässigt, weil ich von der Maschine nicht mehr losgekommen bin", erzählt Thorsten Blinkmann. Der Rendsburger versuchte selbst immer wieder, die Finger von den Tasten zu lassen, doch das Glücksspiel war stärker. "Ich habe viel Geld verloren, sehr viel." Eines Tages griff er in die Kasse seines Arbeitsgebers, der beließ es bei einer Abmahnung – doch da begriff Blinkmann, dass er handeln musste. "Da habe ich mich hier in Breklum angemeldet." Mittlerweile ist er seit ein paar Wochen spielfrei. "Ich checke nur noch meine Mails, sonst gehe ich an dem Rechner vorbei."

 

Mediensucht eingestehen – der erste Weg zur Besserung


Die doppelte Sucht von Thorsten Blinkmann sei besonders, sagt Günter Mazur. Bei "reinen" Medienabhängigen sei es oft schwieriger, die Sucht zu erkennen. "Ich habe hier schon viele Fälle gehabt, in denen sich die Männer, meistens sind es junge Männer, die abhängig sind, Pornobilder runtergeladen haben – so viele, dass sie sie gar nicht mehr anschauen konnten." Irgendwann müsse der Mediensüchtige dann wie der Alkoholkranke die Dosis erhöhen. "Das ist in dem Fall so, dass manche sogar Kinderpornos runterladen, obwohl sie nach meiner Beobachtung nicht pädophil sind", sagt Mazur. Irgendwann ekele sich der PC-Süchtige dann vor sich selbst. "Der Leidensdruck muss so ansteigen, dass der Süchtige oder seine Umgebung Hilfe sucht", sagt Mazur.

Erst dann, wenn sich der Abhängige seine Sucht eingestehe, könnten Therapeuten helfen – bei einer Krankheit, die es offiziell noch gar nicht gibt. "Therapie gegen Medienabhängigkeit kann man eigentlich gar nicht verschreiben – aber bisher hat noch jede Kasse die Behandlung bezahlt, anders als etwa zu der Zeit als die ersten Glücksspielsüchtigen auftauchten", sagt Günter Mazur.
Und Thorsten Blinkmann? Sieben Wochen dauert seine Therapie. "Ich hoffe, dass ich es schaffen werde, meine Sucht in den Griff zu bekommen. Es wird ein langer Weg."


Wurde dir weitergeholfen? Hilf anderen Schülern!

Referate hochladen