„Schau einfach nicht hin, die mögen das nicht.“, sagt ein Mann zu seiner Freundin, mit der er auf einer Parkbank sitzt, als ein Rollstuhlfahrer sich ihnen nähert. Dem Pärchen ist es eindeutig unangenehm, dass ein Behinderter kommt, und es weiß nicht recht, wie es reagieren soll. Der Mann will wahrscheinlich auf keinen Fall auf die Behinderung aufmerksam machen und meint deswegen, dass man den Behinderten nicht ansehen solle. Woher will er aber wissen, dass der Behinderte nicht angesehen werden will?
Der Rollstuhlfahrer kann diese Situation ganz anders interpretieren: Er kommt auf die Parkbank zu und merkt, dass der Mann der Frau irgendetwas zuflüstert. Daraufhin wenden die beiden ihren Blick von ihm ab und tun so als wäre er nicht da. Für den Rollstuhlfahrer wird es zweifellos klar sein, dass soeben über seine Behinderung gesprochen wurde, und es wird ihm auch auffallen, dass das Pärchen nicht so auf ihn reagiert hat, wie es auf einen „normalen“ Menschen ohne Behinderung reagiert hätte. Das kann dem Rollstuhlfahrer das Gefühl geben ein Außenseiter zu sein.
Diese Situation soeben war nur ein Beispiel von vielen. Denn es gibt viele Probleme, mit denen ein Behinderter – egal, ob er geistig oder körperlich behindert ist – fertig werden muss. Dies betrifft nicht nur die Probleme, die direkt mit einer Behinderung zu tun haben, wie Stiegensteigen für einen Gehbehinderten, sondern auch die Probleme, die durch die Gesellschaft entstehen können. Es gibt nämlich leider genug Menschen, die mit Behinderten oder deren Behinderungen nichts zu tun haben wollen. Es gibt auch Menschen, die, wie das oben erwähnte Beispiel an dem Pärchen auf der Parkbank zeigt, aus Angst, auf die Behinderung aufmerksam zu machen, gleich die ganze Person ignorieren. Dabei ist das Ergebnis für den Behinderten wahrscheinlich in beiden Fällen gleich: Er oder sie hat das Gefühl, ein Außenseiter zu sein.
„Behindert“ zu sein bedeutet für mich, nicht alle Fähigkeiten zu haben, die ein Mensch normalerweise hat. Beeinträchtigungen wie Sehschwächen, Gehörschäden oder Humpeln sehe ich nicht als „richtige Behinderungen“, sondern eben als Beeinträchtigungen, die man vielleicht mit Hilfsmitteln wieder beheben kann. Menschen mit Sprachfehlern würde ich nicht als behindert bezeichnen, denn dafür, finde ich, ist die Einschränkung, die Behinderung nicht stark genug.
„Behindert sein“ bedeutet wörtlich gesehen, „eine Behinderung haben“ oder von jemandem oder etwas „behindert werden“. Doch die Bedeutung des Wortes hat sich etwas eingeschränkt. Würde man die eigentliche Bedeutung des Wortes verwenden, dann wäre ja schon eine Person, der etwas den Weg blockiert, „behindert“, denn sie wird behindert, weiterzugehen. Ein Gipsarm stellt eine Einschränkung, also Behinderung der Bewegungsfreiheit dar, folglich wäre, nach eigentlicher Bedeutung des Wortes, eine Person behindert, die nur einen Gips trägt. Deshalb beschränke ich diese Bezeichnung nur auf Menschen, die ihr Leben lang auf bestimmte Fähigkeiten verzichten müssen und nicht nur für einen gewissen Zeitraum, wie es bei einer Verletzung, die heilen wird, der Fall wäre. Menschen, die es im Leben schwer haben, weil sie, weshalb auch immer, Außenseiter sind, sind nicht behindert. Sie haben keine körperlichen oder geistigen Einschränkungen, sondern „nur“ Probleme mit der restlichen Gesellschaft. Die Bezeichnung „behindert“ beschränke ich somit nur auf bleibende körperliche oder seelische Schäden.
Ich kenne vier Leute in meiner Gemeinde, die eher kleinere Behinderungen haben, wie Geh- oder Sprachfehler. Sie werden so behandelt, als wäre die Behinderung gar nicht da. Leichte Behinderungen, wie zum Beispiel Sprachfehler, erregen nicht so viel Aufsehen wie schwere Behinderungen, deshalb ist es auch für die Mitmenschen leichter mit solchen Behinderungen umzugehen, und es entstehen weniger gesellschaftliche Probleme für den Behinderten.
Bei schweren körperlichen, aber vor allem bei schweren geistigen Behinderungen ist es schwieriger für die Mitmenschen, damit umzugehen, mal davon abgesehen, dass es für die Betroffenen ungleich schwieriger ist. Für mich persönlich wäre es das kleinere von zwei großen Übeln, körperlich schwer behindert zu sein als geistig. Denn geistig schwer behindert zu sein heißt, vollkommen unabhängig und hilflos zu sein, was eine körperliche Behinderung zwar auch bedeuten kann, aber nicht unbedingt muss. Auch ist es für mich schwieriger und deshalb unangenehmer mich mit geistig schwer behinderten Menschen zu beschäftigen. Ich war einmal vom Religionsunterricht aus im Elisabeth-Heim in Jennersdorf und es war sehr unangenehm für mich. Ich hatte zwar Mitleid mit diesen Menschen, aber zugleich ein wenig Angst. Nach diesem Besuch wusste ich es mehr zu schätzen, geistig gesund zu sein; auch hatte ich wahnsinnige Achtung vor den Krankenpflegern, die viel Kraft und Liebe investierten um diesen Menschen ein besseres Leben zu bieten. Denn behinderte Menschen haben auch ein Recht auf ein gutes Leben, sie brauchen dazu aber meist Unterstützung von anderen Menschen, die ihnen Kraft geben.
Nicht jeder Mensch hat das Glück, gesund und im vollen Besitz seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu sein. Deshalb sollte man ihnen ihr Leben, das wahrscheinlich auch allein schon schwierig genug ist, leichter und lebenswerter zu machen. Die einzigen Probleme, die es dabei zu bewältigen gibt, sind der Zeitaufwand und die damit verbunden Kosten. Es ist also unmöglich, jedem Behinderten, der sonst niemanden hat, der sich um ihn kümmert, einen eigenen Betreuer zur Verfügung zu stellen. Die Lösung, die dieser am nächsten kommt, sind so genannte Behindertenheime. Auch gibt es für körperlich behinderte Menschen in jedem öffentlichen Gebäude eigene Toilette-Anlagen. In öffentlichen Betrieben bekommen Behinderte außerdem die Möglichkeit, einen Job zu finden, was in der Privatwirtschaft auf Grund der sonst anfallenden Kosten nicht so leicht machbar ist. Denn für körperlich Behinderte müssten eigens spezielle Anlagen errichtet werden und die Arbeit geistig Behinderter müsste kontrolliert werden. Fast kein Privatbetrieb könnte sich das finanziell leisten!
Was kann man also verbessern um die Welt „behindertengerechter“ zu machen? Ich finde, Integration ist ein richtiger Weg. Integrationsklassen an Schulen verhindern, dass Kinder mit einem mehr oder weniger großem Handicap den Kontakt zu anderen Kindern verlieren und zu Außenseitern werden. Sie werden in die Gemeinschaft integriert und können mit anderen Kindern leichter Freundschaften aufbauen, als wenn sie in einem Heim unter sich sind. Ebenso lernen die anderen Kinder, mit behinderten Menschen zu leben und mit ihnen richtig umzugehen.
Ich glaube, dass Akzeptanz für einen Behinderten genau so wichtig ist wie zum Beispiel eine behindertengerechte Toilette oder ein Förderungsprogramm für Behinderte. Die Menschen müssen verstehen lernen, dass man Behinderte nicht verdrängen oder wegschieben kann, sondern dass sie ein Teil unserer Gesellschaft sind und es auch verdienen als ein solcher behandelt zu werden. Jedoch müssen viele erst lernen, mit Behinderten umzugehen und diese auch zu verstehen, denn einem geistig schwer Behinderten Gesellschaft zu leisten ist etwas Neues, Unbekanntes, das vielleicht auch unangenehm sein kann. Anfangs versucht man vielleicht die Unbehaglichkeit nicht anmerken zu lassen; setzt man sich weiter mit der Person auseinander, lernt man sie kennen und kann ihre Gefühle möglicherweise besser verstehen. Dann kommt man unter Umständen sogar drauf, dass es gar nicht so schlimm ist, mit Behinderten zusammenzusein, sondern sogar Spaß machen kann. Damit Menschen solche Erfahrungen machen können, sollte man auf jeden Fall Behinderte so weit wie möglich in die Gesellschaft und den Alltag integrieren um ihnen das Gefühl zu geben, das ihnen zusteht, nämlich dazuzugehören.