Dieter E. Zimmer plädierte dafür, daß wir uns in der Frage, ob das Klonen von Menschen erlaubt sein soll, nicht an moralischen Kategorien wie Freiheit und Verantwortung orientieren, sondern an der Biologie. Eine rationale Erörterung von Fragen der Bioethik verlangt gewiß eine hinreichende Kenntnis der einschlägigen naturwissenschaftlichen Diskussionen und Tatsachen. Aber normative Fragen lassen sich ohne Bezugnahme auf normative Gesichtspunkte nicht vernünftig behandeln. 


Zimmer selbst wendet sich gegen die Zulässigkeit des Klonens menschlicher Organismen mit dem folgenden Argument: Das Klonen würde die zufallsgesteuerte Kombination der elterlichen Gene und damit einen natürlichen Variationsmechanismus stillstellen. Eben diesem Mechanismus verdanken wir, daß bisher Neugeborene – mit der statistisch vernachlässigenswerten Ausnahme eineiiger Zwillinge – als genetische Unikate auf die Welt kommen. Weil sich nun der Mensch – als "Gattungswesen" – nur dank seiner breit variierten Anlagen zu einem "Anpassungsgenie" entwickelt habe, gelangt Zimmer zu der Schlußfolgerung: "Wenn die Menschen begönnen, sich zu klonen, verstießen sie gegen eines der Prinzipien, denen sie ihre Existenz verdanken. Darum dürfen sie es sich nicht erlauben." Aus dieser Überlegung wird freilich erst ein regelrechter praktischer Schluß, wenn wir normative Annahmen hinzufügen. Entweder hält Zimmer unsere artspezifische "Anpassungsfähigkeit" per se für einen Wert, der optimiert werden sollte. Oder er zeigt, daß die Optimierung einer solchen Größe auch unter gegebenen zivilisatorischen Bedingungen für die Erhaltung der Art notwendig ist, und ergänzt dann die empirische Feststellung durch das moralische Gebot, daß wir zur Arterhaltung, also zur generativen Fortsetzung menschlichen Lebens verpflichtet sind. Sind wir es? 

Wer Darwin verstehen will, der muß Kant lesen 

Die Biologie kann uns moralische Überlegungen nicht abnehmen. Und die Bioethik sollte uns nicht auf biologistische Abwege bringen. Andererseits sind normative Gesichtspunkte umstritten und die moralische Eingliederung neuer Phänomene erst recht. Das gilt auch für den Versuch, den möglichen Konsequenzen des Klonens von menschlichen Organismen mit Kantischen Begriffen beizukommen. 

Ich gehe davon aus, daß die Grundsätze einer egalitären Rechtsordnung nur solche Entscheidungskompetenzen zulassen, die mit dem gegenseitigen Respekt für die gleiche Autonomie eines jeden Bürgers vereinbar sind. So darf ein anderer über meine Arbeitskraft eine zeitlich und sachlich begrenzte Verfügung nur dann ausüben, wenn ich dazu meine Einwilligung gegeben habe. Zwar gibt es "besondere Gewaltverhältnisse", wie das zwischen Eltern und Kindern. Aber abgesehen davon, daß auch die elterliche Gewalt rechtlich beschränkt ist, genügt es für die Frage, ob das Klonen von Menschen in die grundlegende Symmetrie der gegenseitigen Beziehungen zwischen freien und gleichen Rechtspersonen eingreifen würde, das Verhältnis erwachsener oder im rechtlichen Sinne mündiger Personen zu betrachten. Die Abhängigkeit vom Sozialisationsschicksal ist ohnehin anderer Art als die vom genetischen "Schicksal": Die heranwachsende Person kann sich gegebenenfalls vom Elternhaus "abwenden" und mit dessen Traditionen "brechen", während sie ihren Genen unterworfen bleibt. 

Hat ein geklonter Mensch ein anderes Selbstverständnis? 

Die Frage ist, was sich für das moralische Selbstverständnis einer erwachsenen Person ändern müßte, wenn sie nicht natürlich gezeugt, sondern geklont worden wäre. Offensichtlich ändert sich nicht die Abhängigkeit von einem genetischen Programm, sondern die Abhängigkeit von der Festlegung dieses Programms durch eine andere Person. Wenn sich Eltern entschließen, ein eigenes Kind zu bekommen, wird der Nachwuchs durch die zufallsgesteuerte Kombination der beiderseitigen Gene zum Erben eines unübersichtlichen genealogischen Zusammenhangs. 

Zimmer betont mit Recht den Unterschied zwischen diesem Entschluß und der Entscheidung einer Person, von ihrem genetischen Code eine möglichst exakte Kopie herstellen zu lassen. Das würde eine bisher unbekannte Art der interpersonalen Beziehung zwischen genetischem Vor- und Abbild begründen. Die absichtliche Festlegung der Erbsubstanz bedeutet nämlich, daß sich für den Klon ein Urteil lebenslänglich verstetigt, welches eine andere Person vor seiner Geburt über ihn verhängt hat. Wem die Konnotationen der Gerichtsmetapher nicht schmecken, der mag mit Lutz Wingert sagen, daß hier eine interpersonale Beziehung an das Verhältnis von Designer und Produkt angeglichen wird. 

Wie dem auch sei, ein Problem entsteht für beide Seiten – das der moralischen Obszönität einer selbstherrlichen und selbstverliebten Verdoppelung der eigenen genetischen Ausstattung auf seiten des Erzeugers und auf seiten des Erzeugten das Problem eines Eingriffs in eine Zone, die sonst der Verfügung anderer entzogen bleibt. 

Die geklonte Person hätte gewiß wie alle anderen die Freiheit, sich zu ihren Begabungen und Behinderungen zu verhalten und auf diese Ausgangslage produktive Antworten zu finden. Aber für sie wären diese "Gegebenheiten der Geburt" keine zufälligen Umstände mehr, sondern das Ergebnis eines absichtlichen Tuns. Was für andere ein kontingentes Geschehen bleibt, kann der Klon einer anderen Person zurechnen. Die Zurechenbarkeit des intentionalen Eingriffs in eine Zone der Unverfügbarkeit bildet den moralisch und rechtlich relevanten Unterschied. 

Der Ausdruck "unverfügbar" soll dabei nur heißen: dem Zugriff anderer Personen – denen wir, normativ gesehen, gleichgestellt sind – entzogen. Daß die Bedingungen der Ausbildung personaler Identität in diesem Sinne unverfügbar sind, gehört offenbar auch zum modernen Verständnis von Handlungsfreiheit. Andernfalls ist die gegenseitige Anerkennung der gleichen Freiheit für alle in Frage gestellt. Der Klon weiß, daß er nicht nur zufälligerweise, sondern prinzipiell für seinen Erzeuger nicht dieselbe Art von Festlegungen treffen könnte wie dieser für ihn. 

Dagegen läßt sich einwenden, daß die von ihren Eltern gezeugten Kinder auch nicht umgekehrt ihre Eltern erzeugen können. Diese Asymmetrie betrifft jedoch wesentlich den Umstand, daß das Kind überhaupt zur Welt gekommen ist, also die bloße Tatsache seiner Existenz, nicht die Art und Weise, wie es diese Existenz aufgrund eines ererbten Kernbestandes von Fähigkeiten und Eigenschaften zu führen in der Lage ist. 

Ich bin nicht sicher, wie dieser Perspektivenwechsel unser moralisches Selbstverständnis beeinflussen würde. Soweit ich sehen kann, müßte das Klonen von Menschen jene Symmetriebedingung im Verhältnis erwachsener Personen untereinander verletzen, auf der bisher die Idee der gegenseitigen Achtung gleicher Freiheiten beruht. 

Dieses Bedenken erstreckt sich aber nicht, wie Zimmer behauptet, auf beliebige therapeutische Eingriffe in den Organismus eines Abhängigen, der nicht gefragt wird, auch nicht auf die vorbeugende Eliminierung von Krankheiten (die freilich niemals vorgeschrieben, sondern nur erlaubt werden dürfte). Für eine normative Rechtfertigung solcher wohlumschriebenen pränatalen Eingriffe sehe ich allerdings ausschließlich negative Argumente, allgemein: die Vermeidung von Übeln. Wahrscheinlich ist das schon eine zu weiche Formulierung, denn die Definition von Übeln hängt von kulturellen Maßstäben ab, die sehr problematisch sein können. Galten nicht schon einmal "minderwertige Rassen" als ein Übel? 

Ich habe nicht den Eindruck, daß wir auf die moralischen und rechtlichen Fragen der Gentechnik und der Reproduktionsmedizin bereits die richtigen Antworten gefunden haben. Nur: Die Biologie selbst kann sie uns nicht geben.

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