Aufgabenstellung:

Momentan mehren sich die Rufe nach einer Reform des Bildungssystems: Manche wollen Englisch schon im Kindergarten, aber mindestens Computerkurse in der Volksschule, andere sprechen von überhöhten Stundenzahlen in den Berufsbildenden Höheren Schulen. Die einen wollein ein freies Kursprogramm, aus dem Schüler Grund- und Leistungskurse auswählen können, dafür aber 80% der angebotenen Stunden anwesend sein müssen, die anderen halten die Matura für überflüssig. Wieder andere wollen die Jahreszeugnisse in höheren Klassen abschaffen und manche sehen in verbalen Beurteilungen das absolute Muss.Fest steht, dass sich die Schule in ihrem System und in ihren Inhalten wohl ändern wird müssen, wenn sie den Anforderungen der Zeit gerecht werden wil.Als zukünftiger Absolvent einer HTL hast du nun mindestens 14 Jahre das österreichische Bildungssystem genießen dürfen. Was ist am österreichischen Bildungssystem positiv, was negativ? Welche Veränderungen erscheinen notwendig, woran soll festgehalten werden? Argumentiere, vergiss nicht, deine Thesen auch zu begründen.

 

Erörterung

Schon die Griechen wussten, dass die Bildung ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Gut der Menschen ist. Doch Platon, Aristoteles und Co. würden erschaudern, sähen sie, wie in der heutigen Zeit mit diesem Schatz umgegangen wird. Im folgenden Text möchte ich die Versäumnisse unseres Bildungssystems aufzeigen und Denkanstöße für Veränderungen geben.

 

Kürzlich hörte man einen angesehenen Bildungsexperten im Radio sagen, dass innerhalb der nächsten vier Jahre grundlegende Änderungen an unserem Bildungssystem geschehen müssten. Ansonsten sehe er keine Möglichkeit, sich noch aus dem Debakel zu retten. Leider muss man ihm beipflichten. Die Schulstrukturen bauen auf denen der 60er- und 70er-Jahre auf, frischer Wind strich schon lange nicht mehr durch die Segel der Bildungspolitik. Der Horizont der Politiker reicht über deren Legislaturperiode nicht hinaus und wenn das Ende dieser in Sicht ist, dann sind Risiken in Form von Veränderungen nur eine Gefährdung für die Wiederwahl. Für dieses Risiko vertretbare Reformen sind z.B. die Umbenennung des Turnunterrichts, welche jedoch von der Kernproblematik ablenken und reine Augenauswischerei sind.

 

Der zweifelhafte PISA-Test hat doch wenigstens eines gebracht, er hat die lahmen Führungspersönlichkeiten unseres Staates aufgescheucht. Plötzlich ist jeder für Veränderungen offen, man will ja schließlich nur das Beste für den Nachwuchs. Geschehen ist trotz großen Medienrummels nicht sehr viel.Ein oft angesprochener Punkt in der Bildungsdiskussion ist die Förderung der individuellen Fähigkeiten. Heute ist es so, dass alle Schüler in einen Topf geworfen werden, die scheinbar schlechten müssen im Herbst einen Nachzapf machen. Der Lehrplan ist für jeden Schüler derselbe, Freiheiten gibt es wenige. Wäre es für die junge Generation nicht herrlich, einen Grundstock an Kernfächern zu haben und den Rest selbst, je nach persönlichen Begabungen, auswählen zu können? Man kann den Schülern eine solche Eigenverantwortung sicherlich zutrauen und sie würden genau dort gefördert (und gefordert), wo es am meisten Sinn und Aussicht auf Erfolg hat.

 

Der oben schon angesprochene „Nachzapf“ bedarf auch einer Generalüberholung. In der derzeitigen Situation muss ein Schüler, dessen Leistungen in einem oder mehreren Fächern „nicht genügend“ waren, am Anfang des Schuljahres seinen Wissensstand erneut unter Beweis stellen. Doch warum wird gerade diesen Schülern die wertvolle Verschnaufpause im Sommer verwehrt? Viel besser wäre es doch, in der letzten Schulwoche für die „Problemkinder“ eine Lernwoche zu gestalten, in denen sich Fünferkandidaten gemeinsam mit Lehrern intensiv auf die Wiederholungsprüfungen vorbereiten können. Diese fänden dann noch vor den Ferien statt, so weiß jeder Schüler am Ende des Schuljahres seinen Stand und muss nicht die Sommerferien mit Lernen verbringen. Die übrigen Schüler hätten in der genannten Woche Zeit für weiterführende Projekte, Exkursionen und Problembearbeitungen, die über den Lehrplan hinausgehen. Wenn man weiterdenkt, kommt man zu dem Schluss, dass unser Beurteilungsinstrument, die 5-stufigen Noten, eigentlich abgeschafft gehören. Niemals lassen sich die Fähigkeiten eines Schülers in dieses Rater pressen, unsere Lehrer werden aber dazu genötigt. Hier könnte man mit verbalen Beurteilungen Abhilfe schaffen. Diese Form des Feedbacks wird nur noch in Volksschulen angewandt, in den höheren Schulstufen wird oft hart um einen Notengrad gefeilscht. Ob das die richtige Methode ist, schlagfertige Verhandlungsprofis großzuziehen? Wo rationalisiert wird, bleibt jedoch für persönliche Bewertungen kein Spielraum. Das einzige Argument, das für Noten spricht, ist, dass sie bei Bewerbungen für den Personalchef die einzige objektive Möglichkeit sind, um eine Vorauswahl unter den Bewerbern zu treffen. Ein großer Schritt wäre schon, die Notenskala weiter aufzufächern, wie es in anderen Ländern schon der Fall ist. Mit begleitenden verbalen Beurteilungen hätten der Schüler und die Personalabteilung ein detailliertes „Wissens- und Fähigkeitsprofil“ in der Hand.

 

All diese Umwälzungen setzen jedoch voraus, dass das Budget für die Bildung merklich aufgestockt wird. Kaum ein Lehrer, der nicht zu den Idealisten erster Güte gehört, wird sich bei erweitertem Aufgabengebiet und steigender Verantwortung mit dem derzeitigen Lohn zufrieden geben. Doch der Trend geht in die Gegenrichtung, Bildungsmittel werden stetig gekürzt und reduziert. Das ist wirklich unverständlich, wenn man z.B. mitbekommt, dass das Land Vorarlberg ohne großes Aufsehen einem Fußballverein mit ca. 2 Mio. Euro aus der Patsche geholfen hat. Doch die Politiker scheinen nicht merken zu wollen, dass sie falsche Prioritäten setzen.

 

In meinen Augen sollten neue Ideen und Visionen nicht als Aufmucken einer Minderheit abgetan, sondern ernst genommen werden. Mit der derzeitigen Besetzung der Entscheidungsorgane und der aktuellen MinisterInnen wird das aber kaum möglich sein, denn dort ist mit dem Umbenennen des Turnunterrichts scheinbar die Grenze des Handlungsspielraumes erreicht. Das jetzige Bildungssystem bröckelt zu Recht, offenbart es doch schon länger seine eindeutigen Schwächen. Da die Bildung ein so elementarer Pfeiler unseres Systems darstellt, kann ich nicht verstehen, warum er langsam aber sicher abgesägt wird.

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