Kurt Tucholsky:
Zum Beispiel Banken. Und wenn die groß geworden sind, so groß, dass sie ein Land überschatten, dann heißt das Land Amerika, und nun wollen wir einmal ein Amerika-Buch begucken, das eigentlich gar keines ist und doch eines ist. Es ist von jenem großen Prosaiker Franz Kafka, auf den immer wieder hinzuweisen das schönste Verdienst Max Brods ist – das Buch heißt ›Amerika‹ (und ist bei Kurt Wolff in München erschienen). Das Werk stammt aus der Zeit vor dem Kriege, Brod sagt in seinem Nachwort, dass es schon viele zarte Lichter des Chaplinschen Humors enthält. Es ist etwas ganz und gar Wunderbares, an innerer Musik und dem Pianissimo der Töne nur noch mit Hamsun zu vergleichen.
 
Ich habe mich mit dem ›Schloß‹ Kafkas nicht im gleichen Maße befreunden können – es ist das ein Buch, in dem eine ›Deutung‹ der Vorgänge fast unumgänglich nötig erscheint, und weder hat mir die Deutung noch die Handlung gefallen. Hier in ›Amerika‹ aber ist jeder Vorgang Selbstzweck, dichterische Frucht und Blüte schmerzlicher Erkenntnis. Es läuft da ein Band vom Dostojewskischen Idioten über Schwejk zu der Hauptfigur des kleinen Karl – sie wehren sich gegen das Leben nicht, aber sie sind so allein und siegen noch in den Niederlagen. Was immer wieder an Kafkas Werk zur größten Bewunderung zwingt, ist die Unwiderruflichkeit der Szenen und ihre traumhafte Eindringlichkeit … Da nimmt der Nicht-Held eine Stellung in einem Hotel an, wo man ihn in eine Liftjungenuniform preßt. »Beim Hotelschneider wurde ihm die Liftjungenuniform anprobiert, die äußerlich sehr prächtig mit Goldknöpfen und Goldschnüren ausgestattet war, bei deren Anziehen es Karl aber doch ein wenig schauderte, denn besonders unter den Achseln war das Röckchen kalt, hart und dabei unaustrockenbar naß von dem Schweiß der Liftjungen, die es vor ihm getragen hatten.« Dieser unerschütterliche Glaube an die Wahrheit des Geschilderten läßt nie fragen: »Woher wissen Sie das, Kafka?« – die Frage will nicht über die Lippen – es ist wie in der ›Schönsten Geschichte der Welt‹ bei Kipling, wo der Banklehrling eben im Innern fest und sicher weiß, wie die Galeerensklaven einmal gelebt haben … er ist vielleicht in einem früheren Leben einer gewesen.
 
Es wimmelt von Formulierungen, die unvergeßlich sind. Von der Justiz: »Die ganze Geschichte konnte er hier nicht erzählen, und wenn es auch möglich gewesen wäre, so schien es doch aussichtslos, ein drohendes Unrecht durch Erzählung eines erlittenen Unrechts abzuwehren.« Oder: »›Und ohne Rock bist du entlassen worden?‹ fragte der Polizeimann. ›Nun ja‹, sagte Karl; also auch in Amerika gehörte es zur Art der Behörden, das, was sie sahen, noch eigens zu fragen.« So tausendmal.
 
Am schönsten an diesem großen Werk ist die tiefe Melancholie, die es durchzieht: hier ist der ganz seltene Fall, dass einer ›das Leben nicht verstehe‹ und recht hat. Niemals ist das, was da geschieht, ganz auszudeuten; schicksalhaft, wie im Traum, fallen die Bestimmungen, die Gesetze, die Gebräuche auf den Leidenden herunter, der auch nicht fragt; das machen die andern eben so – er also auch. Nie läßt sich der ganze Apparat völlig übersehen; in allen Büchern Kafkas gibt es solch einen ungeheuern, umständlichen, endlosen Apparat, der keine Allegorie ist, sondern Niederschlag des Lebens in einem sieghaft Wehrlosen. Daß Karl jemals den Hoteldirektor selbst erblicken könnte, ist unausdenkbar; es langt allenfalls bis zum Oberkellner, und das ist nun keineswegs komisch gedeutet, sondern tragisch: er weiß nicht …
 
Die leise, bescheidene Art, mit der er die Gesten der ernsten und werktätigen Menschen nachahmt, ohne eigentlich ihren Inhalt zu verstehen oder etwa zu bejahen, erinnert sehr stark an Chaplin; doch ist bei dem eine Ironie dabei, die hier fast ganz fehlt, und beide beschämen die Nachgeahmten, ›Amerika‹ ist eines der schönsten Bücher, die die deutsche Prosa aufzuweisen hat; ich bin mit Max Brod der festen Meinung, dass die Zeit dieses wahren Klassikers der deutschen Prosa noch einmal kommen wird.
Sie meinen, das Buch sei schon vor langer Zeit erschienen? Ich meine, dass es eine Albernheit ist, nur ›Neuerscheinungen‹ zu kaufen – als ob man der Literatur mit der Fixigkeit nahe käme! Wir wollen nicht das Neuste lesen – wir wollen das Beste, das Bunteste, das Amüsanteste lesen. Ja, also Amerika.
 
 
Max Brod:
Es ist klar, dass der Roman mit dem „Prozess“ und „Schloss“ deren Reihe er (chronologisch) eröffnete, innig zusammenhängt. Es ist eine Trilogie der Einsamkeit, die Kafka hinterlassen hat. Fremdheit, Isoliertheit mitten unter den Menschen sind das Grundthema. Die Situation des Angeklagten im „Prozess“ – der Stand des Uneingeladenen Landfremden im „Schloss“ – die Hilflosigkeit eines unerfahrenen Kindes mitten in dem von Leben tobenden „Amerika“ – hier sind drei Grundtatsachen deren geheimnisvoll Gemeinsames durch die Kunst Kafkas klar und symbolhaft, jedoch stets durchaus ohne die übliche Symbolsprache und im einfachsten Ausdruck der Wirklichkeit hervortritt. So machen die drei Romane einander gegenseitig verständlich, sie weisen auf ein und das selbe Herz zurück. In allen drei Romanen geht es um die Einordnung des Einzelnen in die menschliche Gemeinschaft und, da es sich dabei um höchste Gerechtigkeit handelt, gleichzeitig um Einordnung in ein Gottesreich. Die ungeheueren Widerstände, die sich gerade dem sorgsam guten und rechtlichen Menschen hierbei entgegensetzen, werden gezeigt. Im „Prozess“ und im „Schloss“ überwiegen die Widerstände – das macht diese Bücher zu tragischen Dokumenten. Im „Amerika“ – Roman dagegen wird durch die kindliche Unschuld und rührend naive Reinheit des Helden das Unheil gerade noch knapp Schach gehalten. Wir fühlen, wie dieser gute Junge Karl Roßmann, der schnell unsere ganze Liebe gewinnt, allen falschen Freundschaften und perfiden Feindschaften zum Trotz, sein Ziel sich im Leben als anständiger Mensch zu bewähren und die Eltern zu versöhnen, erreichen wird. (Auf einige Motive, die dieser Problemstellung zugrunde liegen habe ich in einer kleinen Arbeit „Kleist und Kafka“ in der Literarischen Welt“ Nr. 28 vom 15. Juli 1927 hingewiesen.) Aber der Weg, der zu diesem Ziel führt, ist allerdings mit ungeheuerlichen Leiden und Schwierigkeiten besetzt. „Es ist unmöglich, sich zu verteidigen, wenn nicht guter Wille da ist“ heißt es auch hier voll Trauer und Anklage in jenem Verhör vor dem Oberkellner, dass mit dem im Prozess geschilderten Gerichtsverfahren so viele Dämonien gemein hat. Nur wird der Kampf ums Recht diesmal mit ruhigerem Gewissen, in jugendlicher Ununterbrochenheit aufgeführt. Und die vergebliche wie oft ironisch genasführte Postseuche verweist auf die verwandten Geschehnisse im „Schloss“ mit der Ausnahme, dass hier, in „Amerika“ zum Schluss das erlösende, sei‘s auch durch gewisse Nebenumstände nicht ganz vollgültige „Aufgenommen“ erklingt. Kafka behandelt seinen Karl Roßmann nicht schonender als die beiden anderen Helden, deren Initial gleichfalls K. (–Ich) ist. Denn auch in den beiden anderen Romanen birgt sich hinter der kristallklaren und unverzierten Ausdrucksweise keine Kälte des Dichters, wie man in manchen Analyse vermutet hat, nur unendliche Strenge, die mit zartestem Gefühl, mit der Würdigung des kompliziertesten Entlastungsmomentes und mit grenzenlosen Mitleid unauflösbar verbunden ist. Indes macht es den Eindruck als ob Kafka in diesem „Amerika“-Roman dem braven, ehrlichen und unverdrossene Jungen gegenüber, den er darstellt, sich etwas freier bewegte. Er verbirgt seine Anteilnahme weniger, er wird von ihr überwältigt. Das Herz geht im auf, es blutet, wenn seinem wehrlosen, unschuldigen Geschöpf unrecht getan wird. Es gibt Szenen in diese Buch (namentlich die in der Vorstadt spielenden Szenen, dich ich „Ein Asyl“ genannt habe), die unwiderstehlich an Chaplin-Filme erinnern, an schöne Chaplin-Filme wie sie freilich noch nicht geschrieben wurden – wobei man nicht vergessen möge dass in der Zeit (vor dem Kriege!) Chaplin unbekannt oder vielleicht noch überhaupt nicht aufgetreten war. Es ist möglich, dass gerade dieser Roman einen neuen Weg zum Verständnis Kafkas zeigen wird – den der schlichten, mitfühlenden Menschlichkeit – und dass von hier aus auch die bereits erschienenen Werke, namentlich die beiden anderen großen Kriminalromane, ohne alle Deutung und aus sich selbst hervor zu wirken beginnen. Wie ich aus den mit immer häufigen zugehenden Zuschriften und kritischen Essays ersehe wird Kafkas Lebenswerk in seiner Einzigkeit und ehrfurchtsgebietenden Höhe immer stärker erkannt und geliebt. – Der Nachlass enthält noch zwei größere unvollendete Novellen, deren Grundriss klar ist, eine dramatische Skizze, eine in sich geschlossene Aphorismenreihe über das Thema der Sünde und Erlösung, zahlreiche Fragmente und ein sehr umfangreiches Tagebuch, in dem sich viele Partien zu gültigster Gestaltung erheben. Wenn all das im Druck vorliegen wird, dürfte die Bedeutung Kafkas in einer heute noch gar nicht von fern zu erahnenden Westlichkeit hervortreten.
 
 
Amazon:
Ein typischer Romane des Prager Juristen ist „Der Prozeß“, der erste Band der Trilogie der Einsamkeit, wie Kafkas bester Freund Max Brod es nannte. „Der Prozeß“ und „Das Schloß“ sind das, was man als kafkaesk bezeichnet, also die Schilderung bedrückend-absurder Geschichten. In den beiden Romanen wird die Hauptfigur schlicht K. genannt, ein Mann in den Dreißigern, mit einem gut bezahlten, angesehenen Beruf, der ohnmächtig gegen die Anfeindungen und Schikanen eines unsichtbaren Gegners ankämpft. Es wird nicht erklärt, warum K. so schlecht behandelt wird, um so beklemmender ist die Wirkung, um so nachdenklicher stimmen die Geschichten und um so stärker ist ihre Wirkung. Im Falle von „Amerika“ liegen die Dinge anders. Die Hauptfigur heißt Karl Roßmann und ist ein 16-jähriger Mittelschüler, der von seinen Eltern in die USA geschickt wird. Auch diesem jungen Mann wird immer wieder Unrecht angetan, aber nie von einer unheimlichen, im Verborgenen arbeitenden Macht, sondern von konkret zu benennenden Personen, wie etwa seinen Eltern, seinen Vorgesetzten und seinen Arbeitskollegen. Somit wirkt die Geschichte sehr viel konventioneller als z.B. die großartige, verstörende Erzählung „Die Verwandlung“, für Kafkas Verhältnisse ist Amerika fast schon leicht und unbeschwert. An mehreren Stellen, etwa als Karl einen Job als Liftboy annimmt, erinnerte mich die Geschichte an Thomas Manns Felix Krull, besonders der gekonnte Umgang mit der Sprache drängte den Vergleich auf. Und tatsächlich gibt es auch Humor in diesem Buch, wenn auch nur an wenigen Stellen und fein dosiert. Sehr ungewöhnlich fand ich das zwar offene, aber eher fröhliche als pessimistische Ende des Romans. Zwar gibt es auch im „Prozeß“ und im „Schloß“ kleine Lichtblicke, in denen der Held Hoffnung schöpfen kann und Hilfe angeboten bekommt, doch in „Amerika“ ist tatsächlich ein guter Ausgang der Geschichte vorstellbar. Immer wieder wird Karl der rasche Aufstieg in Amerika in Aussicht gestellt, doch immer wieder wird er enttäuscht und rennt ins nächste Unglück. Ein ständiges Auf und Ab und er gibt nicht auf, sondern glaubt an sich. Das Buch endet damit, daß Karl sich dem Naturtheater von Oklahoma anschließt, einer Art Wanderzirkus, in der jeder gebraucht wird und willkommen ist, unabhängig von seiner Qualifikation und bisherigen Berufslaufbahn. Am Ende steigen alle in einen Zug und werden zu ihrem nächsten Einsatzort transportiert. Das kann man unterschiedlich deuten, für mich spielt es auf den bevorstehenden Ersten Weltkrieg an, in dem ein lang ersehntes Gemeinschaftsgefühl die Menschen verband, und in dem selbst diejenigen wichtig wurden, die sich zuvor als Tagelöhner durchschlagen mußten, so wie Karl Roßmann an der Ostküste der USA.
 
„Amerika“ von Franz Kafka ist ein flüssig zu lesender Roman, der durch seine klare und schöne Sprache besticht. Eine Geschichte über das Erwachsen werden und die Probleme eines naiven und sensiblen Teenagers in einer oft groben Welt, in der die meisten nur an ihr persönliches Vorankommen denken. Mal ein anderer, Mut machender Franz Kafka.
 
 
Kommentar:
Alle drei Rezensionen weisen immer wieder beharrlich auf die Unterschiede und Zusammenhänge zwischen Kafkas „Amerika“ und seinen beiden anderen Romanen „Das Schloß“ und „Der Prozeß“ hin und vergleichen hierbei vor allem die Stimmung und die Atmosphäre der jeweiligen Bücher. Tucholskys Rezension lobt vor allem Kafkas Sprache und seine ausdrucksstarken, glaubwürdigen Sätze. Er hebt die Nachhaltigkeit gewisser Szenen hervor und ist begeistert von Kafkas unvergesslichen Dialogen und aus sich heraus wirkenden Formulierungen, deren Inhalt man ohne jegliches Nachfragen sofort für bare Münze nimmt und im Gedächtnis bleibt. Auch die Handlung und die Melancholie gefallen Tucholsky sehr, im Gegensatz zu Kafkas „Das Schloß“ beispielsweise. Er bewundert die Figur Karls, die in der kalten Welt von Amerika vollkommen verloren scheint und all ihre Gesetzmäßigkeiten, Systeme und Bräuche erdulden muss. In Anlehnung an andere Werke Kafkas erwähnt Tucholsky auch den dunklen, großen, scheinbar endlosen Apparat, der hinter allem steht und scheinbar von niemandem ganz durchschaut werden kann. Obwohl Kafka die Macht dieses Systems in „Amerika“ nur selten zum Vorschein kommen lässt, findet ihn Tucholsky in Gestalt des Hotels, in dem Karl als Liftjunge angestellt wird, wieder. Sogar chaplinhafte Ironie meint er zu entdecken, beispielsweise im Handeln Karls nach dem Vorbild der anderen Menschen, denen er bei ihrem Treiben zusieht. Tucholsky sieht dieses Werk als absolut zeitlos an, lobt es als „ das Beste, das Bunteste, das Amüsanteste“ und zieht somit ein sehr positives Resümee.
 
 
Die zweite Rezension
von Max Brod fokussiert sich sehr stark auf den Vergleich von „Amerika“ mit den beiden anderen Romanen Kafkas „Das Schloß“ und „Der Prozeß“. Er bezeichnet die drei chronologischen Romane als „Trilogie der Einsamkeit“ und nennt als Grundthemen Fremdheit und Isoliertheit. Brod lobt hier vor allem die Fähigkeit Kafkas das Geheimnisvolle und Mysteriöse ohne die übliche Symbolsprache klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen. Laut Brod ist allen Romanen gleich, dass sich ein Individuum in ein größeres, kompliziertes System einfügen muss, wobei sich das Individuum in „Das Schloß“ und in „Der Prozeß“ vor allem dem Widerstand des Systems entgegensetzen muss, während in „Amerika“ das große Unheil von der Naivität und Unerfahrenheit des Protagonisten gerade noch abgewendet wird. Durch die Reinheit und Unschuld des Helden, so Brod, ist von Anfang an klar, dass Karl Roßmann ein gutes Ende finden wird, wobei während des Romans zeitweise auch die stark an „Das Schloß“ und „Der Prozeß“ erinnernde Hilf- und Machtlosigkeit durchscheint. All dies ist von Kafka absolut klar und unverziert beschrieben, worin Brod aber keine Gefühlskälte des Autors sieht, sondern eine umso stärkere, mitleidigere Bindung an die Charaktere. Diese Bindung spürt Brod vor allem in „Amerika“, er spricht sogar von „überwältigender Anteilnahme“ von Seiten Kafkas und bringt auch, wie Tucholsky, den Vergleich mit Chaplin. Brod sieht in dem Roman einen neuen Weg, um Kafkas Wesen zu verstehen, da er hier auch eine „schlichte, mitfühlende Menschlichkeit“ aufweist, die man im „Schloß“ und im „Prozeß“ vermissen mag. Ganz anders als Tucholsky sieht er „Amerika“ als Teil eines größeren Ganzen und findet in allen drei Romanen Kafkas das selbe Herzstück. Brod verliert hingegen kein Wort über die Sprache und Ausdrucksweise Kafkas, von der sich Tucholsky so begeistert zeigt. Scheinbar ist Brod schon zu sehr an Kafkas Wortgewalt und gleichzeitige Klarheit gewohnt, dass er sich lieber mit dem größeren Kontext und der Persönlichkeit des Autors befasst, die er als persönlicher Freund Kafkas natürlich besser als jeder andere Rezensionist kennt.

 
Die dritte Rezension
wurde von einem Privatkunden von Amazon.at verfasst, der „Amerika“ dort erworben hatte. Auch er steigt direkt mit einem Vergleich der drei Romane Kafkas ein, erwähnt auch die von Max Brod beschriebene „Trilogie der Einsamkeit“ und verweist genau wie Brod und Tucholsky auf den Kontrast von „Amerika“ zum „Schloß“ und zum „Prozeß“, in denen das dunkle System noch viel mächtiger und furchteinflößender erscheint. Der Kunde spricht hierbei sogar von „ konkret zu benennenden Personen“, die dem Protagonisten das Leben schwer machen und den Roman konventioneller wirken lassen. Den subtilen Humor erwähnt auch er, wobei aber keine Verweise auf Chaplin-Filme fallen. Als einziger Rezensionist erwähnt der Kunde auch das Ende, welches zwar unvollständig ist, aber im Gegensatz zu den schrecklichen Enden im „Schloß“ und im „Prozeß“ eher optimistisch gehalten ist. Die Lichtblicke, die innerhalb der Geschichte immer wieder vorkommen, erwähnt er wie Brod und Tucholsky und auch, dass diese größer ausfallen als in den anderen zwei Romanen. Der Kunde beschreibt dies mit einem „ständigen Auf- und Ab“, erkennt aber auch, dass dadurch, im Gegensatz zum „Prozeß“ beispielsweise, dem Helden tatsächlich ein gutes Ende in Aussicht gestellt wird. Das Ende interpretiert er als Einziger als eine Andeutung auf das Gemeinschaftsgefühl vor dem 1. Weltkrieg, wo plötzlich jeder einzelne wichtig wird und in die Gruppe aufgenommen wird, genau wie beim Theater von Oklahoma. Die klare Sprache lobt der Kunde am Ende ebenfalls und bezeichnet den Roman als „Mut machend“.
 
 
Ich persönlich
habe „Amerika“ auch als hoffnungsfroher und optimistischer als „Der Prozeß“ erlebt, hatte aber auf der anderen Seite ständig ein beklemmendes Gefühl von Unwirklichkeit und Verschwörung, welches beim „Prozeß“ durch seine Offensichtlichkeit lange nicht so bedrückend wirkt. Die Personen, die Karl einerseits aus vollkommen fadenscheinigen Gründen helfen wollen, ihn dann aber andererseits wieder hinterhältig verraten, haben bei mir dazu beigetragen den gesamten Roman mit einem starken Misstrauen zu lesen. Ständig hatte ich das Gefühl, dass Dinge nur passieren, um Karl wieder fallen zu lassen und wenn Hoffnung im Protagonisten aufkeimte, konnte ich diese nur selten teilen. Oft fand ich die Naivität von Karl zwar einerseits bewundernswert, andererseits hat sie auch dazu beigetragen das immer währende Gefühl der Gefahr noch zu verstärken. Auch die Gründe für Karls Aufenthalt in Amerika, wirken sehr weit hergeholt, erscheint er uns doch als grundanständiger, schlauer und höflicher junger Mann, der von einer großen, nicht greifbaren Macht immer wieder hin- und hergeschleudert wird, um am Ende wieder vor der Mutlosigkeit zu stehen. Interessant fand ich auch die Gegensätzlichkeit im Verhalten seiner Mitmenschen. Die einen, wie beispielsweise Herr Pullunder, vergöttern Karl für absolut schleierhafte Gründe, die man als Leser kaum fassen kann, die anderen wiederum behandeln ihn so abschätzig, dass man sich fragt, ob er hierzu eine Vorgeschichte gibt. Auch dem eigentlich hoffnungsfrohen Ende kann ich nicht ganz trauen, allein schon das Aufnahme-Ritual für das Theater ist dermaßen merkwürdig, fast schon surreal, dass man als Leser eigentlich nur Schlechtes erwarten kann. Auch die Unvollständigkeit des Romans tragen zu der mysteriösen Aura bei. Alles in allem lässt einen das Gefühl nicht los, dass alle Protagonisten außer Karl von einer höheren Ebene instruiert werden. Keiner kennt den genauen Sinn und Zweck hinter seinem Handeln, doch jeder weiß, dass er Karl Roßmann zu beeinflussen und zu lenken hat.
 
Der Roman handelt zum Einen vom Gefühl der Fremde, die man im Ausland erlebt, zum Anderen aber auch vom Gefühl der Fremde in der Pubertät. Kafka vereint beides in einem Werk auf ganz und gar unnachahmliche Art und Weise und setzt seinen jungen Protagonisten ganz und gar der Macht eines komplexen und gleichzeitig unsichtbaren Apparates aus, die nach einiger Zeit auch der Leser zu spüren bekommt.

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