Gerhard Hauptmann 1862-1946
Entstehungszeit:
1887 und erschien 1888
Textsorte:
symbolhaft-naturalistische Novelle (soll ein bedeutungsvolles Ereignis aus dem Alltagsleben darstellen und durch das Aufzeigen einer Krisensituation vermitteln, was Menschenleben überhaupt ist "Friedrich Theodor Vischer").
Literarische Richtung:
Naturalismus (1880 – 1900)
Sprachliche u. stilistische Merkmale:
Die Novelle wird in Form einer 3. Person erzählt. Der Erzähler steht über dem Geschehen.
In Hauptmann’s Novelle wird die Natur sehr oft in den Vordergrund geschoben, Stimmungsbilder mit der Natur verdeutlicht! (Naturalismus)
Weitere Werke:
- Vor Sonnenaufgang
- Einsame Menschen
- Die Weber
- Der Biberpelz
- Die versunkene Glocke
- Der arme Heinrich
- Atlantis
Gerhart Hauptmann wurde 1862 in Obersalzbrunn (Schlesien) geboren, Mit 15 Jahren (1877) wird er von der Schule verwiesen. Seit Herbst 1884 ist er Malerlehrling. Ab 1884 ergebnislose Weiterbildung als Maler in München. Zwischen 1881 und 1885 war er als Bildhauer aktiv und studierte Geschichte an der Universität Jena. Während seiner Jahre in Berlin entwickelte Hauptmann seine eigene naturalistische Erzählweise und dramatische Dichtung, die sich im ,,Bahnwärter Thiel" widerspiegelt. In seinem weiteren Leben erhielt er zahlreiche Preise, unter anderem 1912 der Nobelpreis für Literatur und starb schließlich am 1946 in Agnetendorf (Schlesien).
Stoff:
Nach dem Tod seiner ersten Frau, Minna, die ihm einen Sohn namens Tobias geschenkt hat, heiratet der Bahnwärter Thiel ein zweites Mal. Auch dieser Ehe, die nur praktischen Überlegungen und nicht aus Liebe geschlossen worden ist, entspringt ein Kind.
Der Bahnwärter Thiel beginnt mehr und mehr sich in eine Traumwelt zu flüchten. Durch den tödlichen Unfall seines geliebten Sohnes Tobias, wird Thiel aus seiner Lebensbahn geworfen und er bringt seine zweite Frau Lene und sein zweites Kind im Affekt um.
Thema:
Diese novellistische Erzählung gibt die traurige Geschichte des Bahnwärters Thiel wieder, der nach dem tödlichen Unfall seines Sohnes aus erster Ehe, seine zweite Frau und sein zweites Kind in einem Zustand völliger geistiger Verwirrung tötet.
Schauplatz und Ort:
Die Handlung dieser Erzählung spielt sich hauptsächlich an zwei Orten am Ende des 19. Jahrhunderts ab. Einerseits im Haus des Bahnwärters Thiel, das in dem kleinen Ort Schön-Schornstein an der Spree liegt, und andererseits am Arbeitsplatz des Bahnwärters (in und um), ein kleines Wärterhäuschen an der Bahnstrecke.
Personen:
Thiel ist ein sehr liebenswürdiger Mann, der auf Ordnung sehr bedacht ist. Gesellschaftliche Ereignisse vermeidet er. Die Umwelt lässt er seine Gefühle nicht spüren.
Den Tod seiner Frau überwindet er nur mit großer Mühe. Lene ausgeliefert kann er der gnadenlosen Wirklichkeit nicht entrinnen. Er sucht Zuflucht in der Liebe zu seinem Sohn. Als Tobias stirbt, ist sein einziger Bezug zur Realität verlorengegangen; er wird völlig verrückt.
Minna:
Thiels 1. Frau ist mit Thiel durch eine geistige Liebe verbunden. Bei der Geburt des Tobias verstirbt sie. Thiel beginnt sich in eine Traumwelt zu flüchten. Durch Träume und Gebete bleibt Thiel aber immer mit ihr in Kontakt. (Seite 7, 18-24).
Lene:
Lene ist eine unbeherrschte, streitsüchtige Frau. Thiel heiratete sie rein zweckmäßig, denn er war der Ansicht, dass Tobias eine Mutter bräuchte. Als Lene ihr eigenes Kind gebärt, fängt sie an Tobias zu misshandeln. Thiel fühlt sich nicht imstande, einzuschreiten. (Seite 5, 5-14).
Tobias:
Tobias ist Thiels einzige Erinnerung an seine verstorbene Liebe. Gleich nach der Geburt wird das Kind zu schweren Arbeiten herangezogen, bei denen es sich nicht richtig entwickeln kann. Er leidet stark darunter, dass er keine Mutter besitzt, denn Lene, welche ihn ablehnt, kann er nicht als Mutterfigur annehmen. Am Schluss muss Tobias sterben, wobei der Autor die Möglichkeit bietet, dass sich Tobias aus Verzweiflung vor den Zug geworfen hat.
Inhalt:
Der Bahnwärter Thiel, ein sehr ruhiger, ordnungsliebender und von seinem Äußeren betrachtet sehr stämmiger Mann, erleidet durch den Tod seiner Frau, Minna, die er über alles liebt, einen schweren Schicksalsschlag. Als einzige Erinnerung an seine Frau bleibt ihm sein Sohn Tobias, auf den er nun seine ganze Liebe konzentriert. Thiel glaubt aber, dass es nicht gut für den Jungen sei, wenn er ohne Mutter aufwachse. So entschließt sich der Bahnwärter Lene, eine dicke, egozentrische und herrschsüchtige Frau, zu heiraten. Es ist keinesfalls eine Liebesheirat zwischen den beiden, sondern nur ein Zusammenleben aus praktischen Gründen. Auch dieser Ehe entspringt ein Kind. Thiel beginnt nun immer mehr aus dem Zusammenleben mit Lene zu fliehen. An seinem Arbeitsplatz, einem einsamen Bahnwärterhäuschen, weit entfernt von seinem Heimatdorf, ist er mit seinen Gedanken allein. Dort denkt er viel an Minna und flüchtet sich in eine Traumwelt. Auch versucht der Bahnwärter sich viel mit Tobias zu beschäftigen, dem die nicht angebrachte Liebe seiner Pflegemutter sehr fehlt. Zwei Ereignisse beginnen nun das "geordnete" Familienleben dieser vier Personen zu verändern. Das erste ist, dass Thiel seiner Frau vorschlägt, ohne die Folgen zu erkennen, das kleine Stück Land, neben dem Bahnwärterhaus, das ihnen gehört, zu bebauen.
Thiel fällt in Ohnmacht und in der Zeit nach seinem Erwachen befindet er sich in einem Zustand zwischen Traum und Realität.
Lene und ihr Kind sind ermordet worden, Thiel ist verschwunden. Erst am nächsten Morgen findet man ihn auf den Gleisen der Unfallstelle sitzen. Nur mit Gewalt kann man ihn von dort wegbringen. Der Bahnwärter Thiel wird sofort in eine geschlossene Anstalt eingeliefert.
Interpretation:
Hauptmann beschreibt in seiner naturalistischen Novelle die Natur als Spiegelbild der Psyche. Die Geschichte ist einerseits naturalistisch genau und zeigt gleichzeitig, dass die menschlichen Triebe die vorherrschenden Gefühle sind. Sie zeigt die Gebundenheit eines Bahnwärters an seine übermächtige Umwelt und seine zweite, grobe Frau. Er stellt zwei Menschentypen gegenüber. Den phlegmatischen Bahnwärter auf der einen Seite und die cholerische Lene auf der anderen Seite.
Eigene Meinung:
Ich war von diesem Stück sehr beeindruckt. Zwar ist das Lesen nicht sehr berauschend, doch die Konflikte und tieferen Aussagen werden einem erst nach längerem Nachdenken klar.