Gedichtinterpretation
Das Gedicht „Der Bauer“ von Gottfried August Bürger wurde im Jahre 1773 geschrieben. Zu dieser Zeit begann in Deutschland die literarische Epoche des Sturm und Drang, zu welcher auch dieses Gedicht gehört. Der 7-jährige Krieg war gerade zehn Jahre vorüber und Elend, Not, Hunger, Missernten und Seuchen prägten das Bild in der Bevölkerung. Nur der damals herrschende Feudaladel führte sein Leben in Wohlstand und Reichtum fort. Dies führte zu einer massiven Kritik durch das Volk und auch Dichter und Schriftsteller befassten sich mit diesem Thema. Die Werke des 1747 geborenen Gottfried August Bürger waren ebenfalls mit ihrer antifeudalen Richtung von der demokratisch- plebejischen Haltung ihres Autors geprägt. Bürger war ein Amtmann und mit den Problemen und Sorgen der Menschen gut vertraut. Das Gedicht „Der Bauer“ handelt von solchen Problemen. Ein einfacher Bauer beklagt dich darüber, dass der Landesfürst sich Rechte herausnimmt, welche ihm nicht zustehen. Er zeigt an Hand von Erlebnissen, wie ungerecht die Behandlung der Bauern und Arbeiter doch ist. Der Bauersmann denkt über die Zustände seiner Zeit nach. Er kann und will diese nicht länger hinnehmen.
Dieses Gedicht ist ein erster Schritt sich zu wehren. Es könnte sein, dass es als Pamphlet unter der Bevölkerung verteilt wurde, um die Menschen auf die Missstände aufmerksam zu machen und sie zum Handeln anzuregen. Es ist aber wahrscheinlicher, dass der Bauer den Fürsten direkt anspricht.
Das Gedicht ist zwar in Dialogform gehalten, aber die Sprecherrolle hat nur der Bauer. Der Fürst wird direkt angesprochen, z.B. „Wer bist du, Fürst…?“, „Du Fürst hast nicht… .“, doch er gibt keine Antworten auf die Anschuldigungen des Untertanen. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass er sprachlos ist. Ein ordinärer Bauer erlaubt es sich seinem Fürsten solche Worte („Du nicht von Gott, Tyrann!“) an den Kopf zu werfen, das ist etwas ganz Neues für ihn.
Der Bauer ist zwar ein einfacher, aber sehr mutiger Mensch. Er hat durchaus eine Strafe zu fürchten, was ihn aber nicht von seinem Tun abhält. Er ist wütend und vorwurfsvoll, zu Recht, und ein denkender aktiver Bürger. Der Fürst tyrannisiert seine Untertanen. Er ist egoistisch, selbstsüchtig, herzlos und hart. Er hält es nicht für nötig, an die Bevölkerung zu denken.
Die Grundstimmung des Gedichtes ist voller Wut und Hass gegen den Tyrannen. Die Worte werden dem Fürsten geradezu entgegengeschleudert. Durch die harten und aggressiven Ausdrücke wird dieser Eindruck noch bestärkt, z.B. „zerschlagen“, „Klau und Rachen haun“, „Jagd mich treibt“, „entatmet“, „verschlingst“ usw. Man kann sich durch diese Wortwahl förmlich in den Bauern hineinversetzen, seinen Ärger und seine Gefühle noch besser verstehen.
In dem Untertitel des Gedichtes, „An seinen durchlauchtigen Tyrannen“, gibt es einen Widerspruch: „Durchlaucht“ bedeutet wörtlich übersetzt „von Gottes Gnaden“. Träger dieses Titels sind sozusagen von Gott eingesetzt, um auf der Welt seinen Willen durchzusetzen. Sie haben für ihre Taten Gottes Segen. Ein Tyrann aber ist ein Mensch, der es sicher herausnimmt, über andere Menschen zu bestimmen. Er unterdrückt sie und sieht sich selbst als etwas Besseres an. Die Begriffe „durchlauchtig“ und „Tyrann“ schließen sich gegenseitig aus und bilden ein Oxymoron. Dieser Widerspruch ist trägt einen symbolhaften Charakter. Wieso hat ein einzelner Mensch das Recht die anderen zu beherrschen? Alle Menschen sind nur aus Fleisch und Blut. Keiner ist besser oder schlechter, nur weil er das Kind eines Adeligen ist. Gottfried August Bürger will die Leser aufrufen über diesen Widerspruch nachzudenken und daran etwas zu ändern.
Des weiteren hilft diese ironische Überschrift dem Leser sich besser in den Bauern hineinzuversetzen. Er soll den Fürsten mit solch einem Titel ansprechen, obwohl er tagtäglich von ihm tyrannisiert wird und für ihn arbeiten muss ?
Die ersten drei Strophen beginnen jeweils mit der selben Wortgruppe. Dies sind Anapher. Der Bauer stellt dem Fürsten Fragen. „Wer bist du…?“ Er macht ihn auf die allgemeine Ungerechtigkeit aufmerksam und demonstriert ihm diese an seinem eigenen Verhalten.
In den beiden folgenden Strophen gibt er darauf die Antworten. „Die Saat, so deine Jagd zertritt,…, Das Brot, du Fürst ist mein.“ Der Fürst zerstört, ohne nachzudenken, den Besitz anderer Menschen.
Er weiss ja, dass er selbst dennoch seine Nahrung und Güter bekommen wird. Während der Bauer auf dem Feld hart arbeitet („…bei Egg und Pflug,…den Erntetag durchschwitzt.“), amüsiert sich der Landesfürst. Bei seinen Freizeitbeschäftigungen nimmt er keine Rücksicht auf die arbeitenden Menschen („Das Hurra deiner Jagd mich treibt… .“).
Die Sprache des Bauern enthält eine Steigerung. Erst spricht er den Herrn an und macht seiner Wut Luft. Er bringt die Argumente, die er sich vielleicht vorher ruhig überlegt hat. Von Strophe zu Strophe steigert er sich. Am Ende schreit er ihm seine Worte ins Gesicht. Die sechste Strophe bildet daher den Höhepunkt. Der Bauer zieht eine Schlussfolgerung. Die kurzen Sätze bilden einen Gegensatz zu den Enjambements der vorigen Strophen und bringen die ganze Wut zum Ausdruck. Die letzte Zeile enthält nicht einmal ein Verb: „Du nicht von Gott, Tyrann!“
Damit wird auch der Widerspruch des Titels gelöst. Der Fürst ist keine Durchlaucht, sondern ein von allen Menschen gehasster Tyrann.
Das Gedicht ist in einer recht einfachen, natürlichen und aufrüttelnden Sprache geschrieben. Es enthält keine Fremdworte, außer Tyrann. Die Sprechweise ist in etwa so, wie auch ein einfacher Bauer reden würde. Der Dichter hat sehr viele Stilfiguren verwendet. Neben Anapher, sind Alliterationen („Mein, mein“), Vergleiche („wie das Wild“), Synekdochen (Roß und Wagenrad stehen für die Gespanne und Wagen des Fürsten, Erntetag ist Teil des ganzen arbeitsamen und mühevollen Lebens des Bauern) und Wortwiederholungen (3 mal das Wort Gott in der vierten Strophe) vorhanden. Auch Symbole werden verwendet. Das Brot (in Strophe 4) steht für alle Abgaben und Steuern, die die Bauern dieser Zeit an ihre Herren richten mussten.
Es sind keine Reime vorhanden. Die Dichtung enthält sechs Strophen mit je drei Zeilen. Die Betonung liegt jeweils auf den Verben der Sätze. Dadurch werden sie hervorgehoben und ihr Sinn wird verdeutlicht: „Wer bist du Fürst…?“, „Zerrollen mich dein Wagenrad, Zerschlagen darf dein Roß?“.
Gottfried August Bürger möchte mit seinem Gedicht auf die antiplebejischen Zustände seiner Zeit aufmerksam machen. Die Bürger sollen sich den Widersprüchen stellen und, wie der Bauer, dagegen ankämpfen. Die Leser werden belehrt und zum Handeln aufgefordert. Der Bauer ist ein Mensch aus dem vierten Stand, für welchen die Schriftsteller im Sturm und Drang eine große Sympathie hatten. Er entspricht dem Idealbild, einem aktiven, schöpferischen, bürgerlichen Menschen, der sich der feudalen Welt stellt und mit seinen Worten verändernd in diese eingreift.