Autor:
Gottfried Keller (1819-1890)

Entstehungszeit:
1874

Textsorte:
Novelle (soll ein bedeutungsvolles Ereignis aus dem Alltagsleben darstellen und durch das Aufzeigen einer Krisensituation vermitteln, was Menschenleben überhaupt ist „Friedrich Theodor Vischer“).

Literarische Richtung:
Der bürgerliche oder poetische Realismus (1848-1885) speziell die erzählende Dichtung des Realismus. Name stammt vom Dichter Otto Ludwig, er wendet sich gegen die Romantik und Klassik. Merkmale vorwiegend bürgerliches Milieu (keine Arbeiter), möglichst realistische Beschreibung, objektive Schreibweise, Erzähler hält sich mit Wertung zurück, Vorliebe für Epik.

Sprachliche u. stilistische Merkmale:
sehr einfach, ja volkstümlich geschrieben. Es gibt nur sehr selten Sätze die schwer oder gar unverständlich sind.

Biografie:
Gottfried Keller wurde 1819 in Zürich geboren. Er bildete sich in seiner Jugend zum Maler aus. Im Herbst 1848 ging er mit einem Stipendium der Züricher Kantonsregierung nach Heidelberg, und studierte dort bis 1850. Dann lebte er bis 1855 in Berlin. Dort beschäftigte sich Keller auch mit kleinen Erzählungen und seine dichterische Kraft nahm die entscheidende Entwicklung. 1855 kehrte er wieder nach Zürich zurück und wurde im Jahre 1861 Staatsschreiber und verwaltete dieses Amt bis 1876 mit größter Gewissenhaftigkeit. Er entwickelte sich zum Meister der Novelle. Er starb am 1890 in Zürich.

Weitere Werke:

Personen:
Wenzel Strapinski:
Er ist ein armer Schneider, dessen Meister bankrott gegangen ist. Er achtet auf sein Aussehen: er hat gepflegte Haare, ein Schnurrbärtchen und trennt sich nie von seiner polnischen Pelzmütze und seinem Radmantel. Insgesamt hat er ein edles und romantisches Aussehen. Er ist ein sehr passiver Mensch, denn er spricht leise und verhält sich Nettchen gegenüber sehr schüchtern. Die anderen Personen halten ihn für einen „vornehmen Grafen“ oder einen „vollkommenen Junker“.

Nettchen:
Sie ist die Tochter des Goldacher Amtsrates, eine typische Kleinstädterin, die gerne viel und hastig redet. Auch sie achtet auf ihr Aussehen, trägt zuviel Schmuck und ist modern gekleidet. Sie hat einen abenteuerlich frisierten Kopf und einen „vollen Augenaufschlag“ Insgesamt gibt sie ein hübsches und prächtiges Bild. Wenn sie jemanden wirklich liebt, verzeiht sie ihm alles.

Melchior Böhni:
Er ist ein gescheiter und tüchtiger Mann, der einen rötlichen Backenbart trägt. Aber er ist neidisch auf Strapinski, weil er selbst Nettchen heiraten wollte. Er genießt großen Respekt unter den Leuten und man sagt, dass er noch große Geschäfte machen wird. Wegen des roten Backenbarts und weil er aus einem silbernen Döschen schnupft, macht sich Nettchen über ihn lustig.

Inhalt:
In der Novelle von G. Keller geht es um einen armen Schneider, der wegen seinem einzigen Schatz, einen sehr kostbaren Radmantel für einen Grafen gehalten wird. Zuerst will er alles aufklären, jedoch später lernt er ein nettes Mädchen aus gutem Hause kennen und zieht daher vor den Schwindel weiter zu führen, aber dann passiert etwas …..

Wenzel Strapinski wandert von Goldach nach Seldwyla um dort Arbeit als Schneider zu finden. Er hat seinen selbstgemachten Radmantel an, in dem er aussieht wie ein edler Mann. Wenzel ist schon sehr hungrig, da er immer, wenn er betteln will, von den Leuten so komisch angeschaut wird. Auf einmal haltet eine Kutsche neben ihm, und der Kutscher fragt ihn ob er nicht mitfahren will. Wenzel setzt sich sogleich in die gräfliche Kutsche.
In Goldach angelangt scharen sich alle Einwohner um die Kutsche. Wenzel wird in den Gasthof „Zur Waage“ geleitet um dort zu speisen. Er wehrt sich nicht. Zuerst wagt er einen Fluchtversuch, doch er wird von einem der Diener zu Toilette geleitet. Später isst und trinkt er nur wenig, aber bald meint er dass er so und so bestraft werden würde.

Am späten Nachmittag kommt eine Gruppe der höheren Schicht des Dorfes in den Gasthof, unter ihnen auch der Buchhalter Melcher Böhni, der , wie er meint, das Nettchen schon fast zur Frau hat. Alle versuchen ihm mit ihren Reichtümern zu imponieren und laden ihn schließlich zu einer Fahrt ins Grüne zum Amtsrat ein. Wenzel willigt ein, da er eine neue Fluchtmöglichkeit sieht.
Am Abend, bevor sie dort speisen, bemerkt Melcher Böhni Wenzel`s zerstochene Finger und schöpft Verdacht, er will ihn jedoch noch nicht auffliegen lassen, sondern sich noch vergewissern. Beim Abendessen lernt er Nettchen kennen und verliebt sich in sie. nur wegen ihr beschließt er den Schwindel fortzusetzen. Bald hält Wenzel um ihre Hand an. An dem Tag, an dem das Faschingsfest von Seldwyla und Goldach stattfindet wollten sie die Verlobung bekannt geben. Böhni ist dadurch natürlich sehr böse und will sich rächen.

Böhni aber bereitet mit den Seldwylern einen Streich für die Goldacher vor, da sie denen den Graf neidig waren. Mitten im Fest wird der Schwindel von den Seldwylern durch ein kleines Theaterstück aufgedeckt. Wenzel verlässt den Saal und fährt Richtung Seldwyla.

Bald legt er sich in den Schnee und schläft ein. Nach einer Stunde kam Nettchen wieder zu sich und fährt wie durch eine Eingebung dem Wenzel nach und rettet ihn vor dem Erfrierungstod. Zuerst will sie Klarheit schaffen warum und wieso er dies getan hat. Nachdem er seine ganze Lebensgeschichte erzählt hat, vergibt sie ihm schließlich .
In Goldach angelangt geht sie zu ihrem Vater und verlangt ihr Erbe, da sie gerade volljährig geworden ist.
Dann lebten sie zehn bis zwölf Jahre in Seldwyla, Wenzel wurde ein angesehener Tuchhändler und Nettchen bekam viele Kinder. Schließlich zogen sie wieder nach Goldach und lebten dort bis an ihr Lebensende.

Interpretation:
In diesem Buch wird sehr gut das komplexe Verhältnis zwischen Täuschung und Realität, zwischen Schein und Sein unter gesellschaftskritischem Aspekt dargestellt. Der wandernde Schneider kommt durch seinen vornehmen Mantel und die melancholische Blässe seines Gesichts dem heimlichen Wunschbild der Kleinstädter entgegen – einem Wunschbild, das es im ersten Teil der Erzählung den beiden jungen Leuten gestattet, sich dem romantischen Schein uneingeschränkt zu überlassen.


Die unvermeidliche Entlarvung dieser Täuschung stürzt das Liebespaar in eine Verzweiflung, in der erst die befreiende -heitere Wende, der Aufbruch in eine wahre menschlichere Wirklichkeit erfolgen kann. In Nettchen, die sich, allen maskenhaften Konventionen zum Trotz, tapfer zu Wenzel bekennt, kristallisiert sich Kellers Ideal praktischer Humanität: „So feierte sie erst jetzt ihre rechte Verlobung aus tief entschlossener Seele, indem sie in süßer Leidenschaft ein Schicksal aus sich nahm und Treue hielt.“ Nicht in einer träumerisch-weltfremden Gebärde erscheint das Wunderbare – zeichenhaft hierfür steht der Mantel, den Keller in den Rang eines Dingsymbols erhebt -, sondern das Wunder ereignet sich einzig in einer der gesellschaftlichen Wirklichkeit kritisch zugewandten Haltung, die durch verstelltes Gefühl und unbeirrbare Tatkraft beglaubigt ist.

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