Sein Leben:
Hermann Hesse, 1877 in Calw geboren, hatte einen Estländer zum Vater und eine Stuttgarterin zur Mutter, welche aus der Ehe eines Schwaben und einer Westschweizerin entstammte. In der alamannischen Mitte zwischen Gottfied Keller, Heinrich Hans-Jakob, zwischen Hölderlein und Mörike lag seine Heimat, bis ihn der Krieg aus dieser geistigen Mitte wegschob.
Nach der Flucht aus dem theologischen Seminar in Maulbronn wurde er zuerst Mechaniker, dann Buchhändler. Seit 1904 betätigte er sich als freier Schriftsteller und veröffentlichte die Geschichte eines verträumten Naturburschen, "Peter Camencind" , der von einem Bauern kommend, die Kultur durchläuft, um dann wieder zum Bäuerlichen zurückzufinden. 1905 schrieb er die Erzählung "Unterm Rad" . Es ist die Geschichte eines Jungen, der, äusserlich heil, innerlich jedoch schwer beschädigt, sich von einer Klosterschule losreisst. Seine Jugenderlebnisse sind in seiner Novelle "Diesseits" 1907, niedergeschrieben und Sonderlinge in seiner Erzählung "Nachbarn" . Die Geschichte "Gertrud" 1910 gilt einem Schüchternen, dem der Freund bei der Geliebten zuvorkommt, der aber der Witwe Freund und Weggefährte bleibt. Im Jahre 1912 siedelte Hermann Hesse in die Schweiz über. "Rosshalde" 1914 ist das Buch einer Ehe, die dem Kinde zum Verhängnis wird. Seit 1919 lebte Hesse in Montagnola am Luganersee. Ueber die Kindheitsgeschichte "Demian" , welche er im selben Jahr schrieb, geht es schliesslich in ein Werk hinein, das immer fremdartiger wird und, wie Der ”Steppenwolf" 1928 zeigt, nur noch zunahm, ohne sich zu verändern. Im Jahre 1922 schrieb Hesse die bekannten Bücher: "Siddhartha eine indische Dichtung" , "Narziss und Goldmund" 1930, "Das Glasperlenspiel" 1943 und "Die Gedichte" (Gesamtausgabe 1942-1947). Im Jahre 1962 wurde Hermann Hesse die Ehrenbürgerschaft von Montagnola erteilt. Dort starb er am 9. August 1962 an Gehirnschlag. Vielleicht diente seine Prosa nur zur Befreiung von inneren Zuständen, damit die Seele sich desto reiner in den lyrischen Versen aussprechen konnte, die Hesse seit den Romantischen Liedern" 1899 immer wieder neu gesammelt hat.


Knulp: 
Das 1915 von ihm veröffentlichte Werk "Knulp" zeigt drei Geschichten aus dem Leben Knulps auf. Die drei, an äusseren Begebenheiten armen Erzählungen, vergegenwärtigen in loser Verknüpfung beispielhafte Situationen, Gespräche und innere Monologe aus dem Leben Knulps.
Die erste Geschichte, "Vorfrühling" , stellt den "heiteren und unterhaltsamen Menschen" vor, der nach der Entlassung aus dem Spital, in der kalten Jahreszeit seine Wanderschaft im Hause eines früheren Weggenossen unterbricht. Der ungesicherten Existenz Knulps wird hier das häusliche Behagen eines sesshaft gewordenen Freundes gegenübergestellt, dessen Frau sich weit mehr um ihn kümmerte als ihm lieb ist. Knulp hingegen freundet sich mit der Nachbarsmagd Barbara Flick an. Aber auch von ihr nimmt er bald Abschied.
Mit "Meine Erinnerungen an Knulp" ist die folgende Geschichte überschrieben. Sie enthält Gespräche zwischen Knulp und einem Kameraden über den Sinn des Lebens, der Sesshaftigkeit und der Wanderschaft, über Freundschaft und Liebe.
 
"Das Ende" ist der Titel der abschliessenden Geschichte, die von Knulps Rückkehr in die Gegend seiner Heimat berichtet. Der ausgezehrte, dem Tod nahe Vagabund blickt auf die Zeit zurück, in der noch "alles aus mir hätte werden können". Der Jugendfreund und Arzt Dr. Machold, findet ihn und nimmt ihn mit in sein Haus nach Bülach. Hier legt er die Beichte seines Lebens ab: die Enttäuschung von der
zwei Jahre älteren Franziska und der schlechte Einfluss von deren Bruder haben ihn aus der Bahn geworfen. Das Böse hat nie Gewalt über ihn gewonnen, hat ihn aber in die Vereinsamung geführt, Der Winter rückt näher, und in fiktiven Gesprächen mit dem "lieben Gott" beklagt er sich über die "Zwecklosigkeit seines Lebens". Aber seine Wanderschaft wird zuletzt von Gott legimitiert: Er habe "den sesshaften Leuten immer wieder ein wenig Heimweh nach Freiheit mitbringen müssen". Für Knulp ist am Ende "alles wie es sein soll", und im Alter von vierzig Jahren schläft er auf der Landstrasse, nach der Versöhnung mit Gott und in dem heiteren Bewusstsein, dass er "überall ein Stück Kindertorheit und Kinderlachen hintragen konnte", im Schnee für immer ein.


In dieser Geschichte von Hermann Hesse finden wir hauptsächlich nur fiktive Figuren, die er in seiner Phantasie zum Leben erweckte. So auch die Hauptgestalt in diesen drei Geschichten Karl Eberhard Knulp, in dem Mark Boulby , in der Veröffentlichung von 1967 in der Cornell University Press, einen Fortläufer des Altmusikmeisters im "Glasperlenspiel" sieht. Mit der heutigen Zeit verglichen, könnte man Knulp als einen neumodischen "Aussteiger" bezeichnen, der nur vor Gott und sich selbst Rechenschaft abzulegen hat. In Zeiten der Not nimmt er jede Arbeit an und gilt als arbeitsamer, unkomplizierter Mensch.Das Böse kann ihn nie überwältigen, treibt ihn aber in eine ausweglose Einsamkeit, und er stirbt in innerlichem Frieden mit sich , mit Gott und der übrigen Welt. Auch alle anderen Gestalten, die Knulp auf seiner Wanderschaft begleiten, sind fiktive Figuren Hesses. Jede Person erinnert sich mit Freude an die gemeinsam verbrachte Zeit und nimmt ihn bei jedem Wiedersehen mit Gutmütigkeit zeitweise bei sich auf. Doch kurze Zeit später verspürt Knulp wieder den Drang nach Freiheit und überlässt seine Freunde wieder ihrem Alltag.

In diesen Erzählungen wird das Motiv aus Peter Camencind" wieder aufgegriffen. War Camencind ein Dichter, so ist Knulp ein wandernder Handwerksbursche, der auch dichtet. Seine Ueberlegenheit zeigt sich in der endgültigen Absage an alle Illusionen, an das Glück des Besitzes und bürgerlicher Häuslichkeit. Für ihn gibt es keinen Rückzug in irgendeine patriarchische Idylle, sondern nur das freie Durchgehen auf den eingeschlagenen Weg eines sonderbaren Vagabunden. Das Motiv vom Vagabunden steht in weiteren geistesgeschichtlichen Beziehungen. In dieser Geschichte fassen wir ein interessantes Stück Literaturgeschichte zusammen. Wanderschaft als Sinnbild und Ausdrucksform einer ganz bestimmten Lebensauffassung kennen wir in vielen dichterischen Varianten. Diese Wanderschaft bedeutet vor allem ein Verzichten, ein Loslassen dessen, was der Sesshafte an egoistischem Besitz um sich anhäuft. Hesse Vagabund führt nicht zu einem respektablen bürgerlich-humanen Ziel, nicht zu einem glücklichen Ende, wie in Wilhelm Meisters "Taugesnichts" . Er ist nur ein armer Handwerksbursche, der nach Abschluss seiner Lehrzeit und der langen Freiheit seiner Wanderjahre als Geselle den Anschluss ans nahr- und sesshafte bürgerliche Dasein nicht recht hat finden können und der nun ins wunderliche bunte Bilderbuch der Welt jahraus jahrein seine ziellose Wanderschaft fortsetzt. Er weilt immer nur gastweise unter den Leuten, aber dafür, dass er Aussenseiter bleibt, erwächst ihm das innige, naive Verstehen der Natur, jener Blick ins Wesentliche, der eigentlich den Dichter ausmacht. Knulp ist ein Volkspoet, das heisst, er hat niemals etwas von seinen Versen und Liedern aufgeschrieben oder gar veröffentlicht.
 
Hier tritt noch mehr die eigentliche Unvereinbarkeit von Bürgerlichtkeit und Künstlertum zutage, als bei seinen berühmten Literaturkollegen. Hermann Hesse hat daran sein Leben lang gelitten. Denn Knulps Wandern versteht sich nicht nur als reales Unterwegssein, sondern ist zugleich Metapher für die Existenz des Künstlers, der in der bürgerlichen Gemeinschaft nicht heimisch werden kann. Mit dieser Antithese schlägt Hesse ein Thema an, das in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts immer wieder zum Gegenstand literarischer Reflexionen wird und in Hesses Romanen ebenso leitmotivisch wiederkehrt, wie im Werk Thomas Manns. Die Knulp-Geschichten behandeln dieses Thema auf einem nicht anspruchsvollerem Niveau. Typische Motive wie Wanderschaft, Einsamkeit, Sehnsucht, Heimat und Ferne werden in verbrauchten Metaphern und konventionellen Wendungen vergegenwärtigt. Dadurch wirkt das Gefühlsleben Knulpsebenso imitiert und übertholt wie seine "Philosophie", die sich in einer betont naiven Sprache Ausdruck verschafft und die immer wieder in unverbindliche Einfalt ableitet.

Ein weiteres Thema lässt sich aus diesen Geschichten ablesen: die Selbstverwirklichung des Menschen. "Erkenne dich selbst" und "werde, der du bist" sind Forderungen, die in Hesses Werk häufig auftreten. Knulpsucht seine Rechtfertigung bei Gott; der bis dahin mit dem Schicksal Hadernde erkennt, was ihm lag und was ihm zu tun oblag.

Mit diesem Werk zeigt sich bereits ein gewandelter Hermann Hesse, der sich aus der romantischen Verträumtheit, die am liebsten aus seinem idyllischen Vagabundenroman spricht, und aus den lyrischen Selbstbekenntnissen seiner ersten Romane, zu einer energischen Suche nach seiner gestigen Bestimmung fortentwickelt. Er weiss jetzt, dass sich in seinen persönlichen Spannungen die krisenhafte Situation seiner Zeit niederschlägt, und sucht nach einer objektiven Gestaltung seiner Erfahrung. Er muss diese Spannung auf sich nehmen und durch sie hindurch sein eigentliches, tieferes Selbst verwirklichen. Der erste Schritt dazu ist wahrhafte Selbsterkenntnis; sie darf auch den Blick auf die dunklen Mächte nicht scheuen, welche die die helle Lebensordnug bedrohen.
 
Hesses Spache ist durch impressionistische Bilder gekennzeichnet, das heisst, er wurde nach der Stilrichtung um die Jahrhundertwende geformt. Diese Stilrichtung der Literatur versucht, Stimmungen, seelische Differenzen, bestimmte Augenblicke zu erfassen. Es ist eine scheinbar leicht hingeworfene Prosaskizze. Sehr wichtig ist hier die stilistische Bedeutung des Rhythmus, das syntaktisch Unverbundene und die feine Abtönung in Wort und Bild. "Knulp" ist letzten Endes ein gefällig geschriebenes Werk der Selbstenttäuschung und des Rückzuges in die Träume, das Werk eines romantisierenden Infantilismus, ein durch Störung verursachtes körperliches und geistiges Verharren auf einer kindlichen Entwicklungsstufe; vielleicht ist es nicht allzu unfair, auf die Mundharmonika als zentrales Symbol des Buches hinzuweisen, welche als Zeichen eines "freien" Wanderers gilt.

 


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