Interpretation
Schon der Titel – „Des Lebens Überfluss“ – ist sehr doppelsinnig aufgebaut, und könnte symbolisieren, dass das Leben bis zum „Überfluss“ gelebt und ausgereizt ist, und dass das „Überflüssige Leben“ abgeschlossen ist, oder werden will. Demgegenüber könnte man „Leben im Überfluss“, also genug oder sogar zuviel, im positive Sinne, aus dem Titel herauslesen.
In der Geschichte, in der Heinrich mit dessen Frau – Clara – die Hauptpersonen sind, wird sehr wenig Hintergrundinformation gegeben, und von sehr wenig effektiver Handlung erzählt, was auf einen hohen Symbolgehalt der Novelle schliessen lässt.
Die Überstürzte Flucht Claras aus ihrem Elternhaus, die Armut, und die Unzugänglichkeit, Anonymität und Isolation in der sie gegenüber ihrem Mitmenschen leben, die bis zur Vernichtung ihrer einzigen Brücke zur Aussenwelt, der Treppe, geht, sind alles Hinweise auf die Scheinwelt Liebe in der das junge Paar lebt. Die ausserdem sehr kärgliche Kost und der Mangel an Feuerholz, im ach so kalten Winter, lässt sich in dem Redensart „Ich lebe von der Liebe“ sehr simpel ausdrücken.
„…, dass ein wütender Verbrecher, zum Hungertode verdammt, sich selber nach und nach aufspeiset; im Grunde ist das nur die Fabel des Lebens…“
Das obige Zitat ist eine Metapher dafür, dass jeder Mensch, schon bei der Geburt, ein Verbrecher, also zu etwas verdammt ist. Das Schicksal, oder die Erbsünde, muss man abarbeiten, dafür Leiden oder in Form eines bestimmten Zieles erreichen. Wenn man Kinder hat, belastet man auch die mir einem Schicksal, und einer Verpflichtung. Da aber „jeder seines eigenen Glückes Schmied“ ist, glaube ich nicht, dass ein Schicksal unbeeinflussbar sein muss.
„Und, wie gesagt, ich treibe dergleichen nicht aus zynischer Sparsamkeit, nach Art der Diogenes1, aus dem Hause, sondern im Gegenteil im Gefühl meines Wohlstandes, um nur nicht, wie die jetzige Zeit, aus törichtem Sparen zum Verschwender zu werden.“
Zuerst auf das Frack, die Servietten und das Tischtuch, und dann schliesslich auf immer mehr, wurde,„nicht aus zynischer Sparsamkeit“,verzichtet, sondern um den Wohlstand zu vergrössern. Dies soll zeigen, dass es die einfachen Dinge im Leben sind, die es lebenswert machen. Das diese Theorie, trotzt, aller moralischen Grundsätze nicht hundertprozentig aufgehen kann, zeigt Tieck, in dem er Clara sagen lässt: „Wir entbehren fast alles…“. Trotzdem zeigt die Novelle deutlich, dass alles was man braucht, sich selbst und ein bisschen Liebe ist. Das dies – eine allgemeine Botschaft der Religion – von Tieck artikuliert wird, ist nicht weiter erstaunlich, da er ja selber etwa zwei Jahren Theologie studiert hat.
„…aus törichtem Sparen zum Verschwender zu werden.“ Dieser Teilstück ist fast schon paradox und bedeutet, dass nicht materielle Besitztümer unbedingt behalten werden müssen, sondern, dass das wichtigste, was man besitzen kann, dasein und Liebe sind. Das Paar lies alles auf sich zukommen, lebte einfach und unbeschwert in den Tag hinein, nach dem Motto: „Sorgen sind für Morgen gut“.
Heinrich erzählt seiner Frau auf ihr Drängen hin, von dem Traum, den er in der Nacht hatte. In diesem Traum wurde er in einem grossen Saal verauktioniert. Anfänglich wollte niemand etwas für ihn bieten, was ihn zutiefst Erniedrigte, und symbolisiert, dass jeder Mensch ein gewisses Bedürfnis nach Respekt, Anerkennung und Liebe hat, und sich unbestätigt fühlen muss, wenn sich niemand um ihn kümmert. Als niemand bieten wollte, und er dann mit drei anderen Gestalten versteigert werden sollte, und ein Mindestbetrag für die Gruppe geboten war, trat seine Frau in das Zimmer, empörte sich über die Auktion, die von statten lief, und bot sogleich einen hohen Betrag für ihren Mann, was ein Sinnbild dafür ist, dass die Frau alles dafür tun, oder geben würde, damit sie ihren Mann nicht hergeben müsste. Nun aber entstand ein Wettstreit um den Besitz von ihm, zwischen Clara und anderen vornehmen und reichen Damen im Raum, was zeigt, dass immer eine gewisse Rivalität zwischen Menschen vorhanden ist, da nur Minuten vorher noch niemand für ihn geboten hatte.
Die Gebote stiegen schnell und bis in die Hunderttausenden stark an.
„Mit jedem tausend erhob ich mich mehr, stand stolz und gerade…“
Dies zeigt wie Heinrich es geniesst, von den, enthusiastisch für ihn bietenden, Damen, begehrt zu werden. Als aber die Gebote derart hoch sind, dass Clara, seine Frau, nicht mehr mithalten kann, sagt sie: „Ich sehe jetzt ein, dass er für mich zu kostbar ist“, was nicht unbedingt auf den Preis bezogen sein muss. Unter Umständen fragt sie sich, ob sie einen Mann der so „hoch geschätzt“ und begehrt wird, überhaupt verdient. Als sich die Auktion nun entschieden hat, wird die Summe aus irgend einem Unerfindlichen Grund Heinrich selber ausgehändigt, was dafür spricht, dass er nicht verkauft worden war, sondern sich selber verkauft hat. Dies stimmt auch mit der Kostbaren Schriftstück, mit dem er sich so identifiziert hat, dass für einen Bruchteil seines Wertes verkaufen musste. Nun stellt sich seine Frau, welche die unchristliche Versteigerung ihres Mannes in Frage stellte, selber dem harten Schicksal und lässt sich verauktionieren. Dies zeigt, dass sie herausfinden will, wie sehr ihr Mann sie liebt. Clara, eine junge Schönheit, wir sofort hoch gehandelt. Heinrich, der nun ja ein Vermögen besitzt, bietet unermüdlich mit, und stellt schlussendlich alle seine Nebenbuhler in den Schatten. Als er jedoch sein Geld auf den Auktionstisch legt, stellt er mit Schrecken fest, dass „noch viele Tausende fehlen“. Dies stellt Anschaulich dar, wie er seiner Frau zu beweisen Versucht wie sehr er sie Liebt, aber es wegen Mangel an Geld – das Paar lebt in Armut – nicht zustande bringen kann. Dies stellt wiederum die These, mit Liebe allein zu leben, in Frage. Als er anfänglich in den Saal kommt, ist er das wert, was andere für ihn zu bieten bereit sind, also nichts. Als aber seine Frau zu bieten beginnt, ist er ihre Liebe, die sich in ihren Geboten widerspiegeln, wert. Ein Mensch ist nicht das wert, was andere für ihn bezahlen, sondern soviel wie andere ihn lieben.
Am Schluss der Geschichte gerät das Paar in eine Kontroverse mir dem Hausbesitzer und der Polizei und sind bereit zu sterben, sich dem Schicksal hinzugeben. Aber dann kommt der für tot gehaltene Jugendfreund, mit eben jener kostbaren Schrift, die ihn zu ihnen geführt hat und die Heinrich verkaufen musste, und erzählt, von dem ihm angetrauten Kapital Heinrichs, welches das Paar vollends von der Armut befreit. Der Disput kann nun mittels finanziellen Mitteln bereinigt werden. Dies stellt eine der Männerfreundschaften dar, die als stärker wie die Liebe zu einer Frau gelten, und die auch in diesem Fall sehr lange gehalten hat.
Die Novelle beginnt und endet mit dem Ende der Geschichte, und die Protagonisten unterhalten sich kontinuierlich über die Vergangenheit. Heinrich lies ausserdem sein Tagebuch rückwärts, um so den Anfang besser zu verstehen. Dies ist ein bildhafter Ausdruck für die Ewigkeit, die sich, wie eine Schlange die sich in den Schwanz beisst, ständig in einer Schlaufe zu wiederholen scheint. Anfang und Ende sind so, wie in der Novelle, innig ineinander vereint.
Nachwort
Zitate die im speziellen interpretiert wurden, und direkt aus dem Buch stammen habe ich in Anführungszeichen und kursiv dargestellt.
Ich glaube, dass ich eine sehr schwierige Novelle gewählt habe. Aber um einfach Aufzugeben, und eine andere, leichtere, zu nehmen, war mein Ehrgeiz zu gross. Aus diesem Grunde habe ich auch keinerlei Sekundärliteratur verwendet, weil ich sonst wahrscheinlich Stellen, die ich nicht vollständig verstand, einfach Abgeschrieben hätte.
1 Diogenes von Sinope, griechischer Philosoph, einer der Vorbilder für die Philosophie der Kyniker. In Athen studierte er bei dem Sokrates-Schüler Antisthenes, der die Missachtung der Sittengesetze lehrte und zu einer asketischen Existenzweise aufrief. Dem entsprechend führte Diogenes ein enthaltsames Leben.
Die Philosophie des Diogenes war ganz auf praktische Anwendung ausgerichtet. Er verhöhnte die Gebildeten, die ihre Theorien nicht auch lebten.
Zahlreiche Anekdoten ranken sich um seine Person und seinen Witz. Angeblich lebte Diogenes in einer Tonne und ging tagsüber mit einer Laterne durch Athen und suchte den wahren Menschen. Auf die Frage Alexanders des Großen nach seinem größten Wunsch soll Diogenes geantwortet haben: „Geh mir aus der Sonne“.