Autor
Johann Nepomuk Nestroy wird am 7. Dezember 1801 in Wien als Sohn eines Hof- und Gerichtsadvokaten geboren. Mit zehn Jahren tritt er in das Gymnasium ein. 1820 beginnt er, Jura zu studieren und tritt nebenbei als Sänger auf. 1822 spielt er Sarastro in der „Zauberflöte“ und bekommt daraufhin einen Zweijahresvertrag mit dem Wiener Hoftheater. 22jährig heiratet er Wilhelmine von Nespiesni. Er engagiert sich Deutschen Theater in Amsterdam und hat seinen Bühnendebüt als Kaspar im „Freischütz“. 1827 wird Nestroy von seiner Frau verlassen. Er debütiert in Graz als Lokalposssendichter mit „Der Zettelträger Papp“. Ab 1828 unterhält er eine Beziehung zu der Sängerin Marie Weiler. Drei Jahre später schließen beide Verträge mit Carl Carl, dem Direktor des Theaters an der Wien. Nestroy ist als Komiker und Bühnenautor tätig, sein Partner auf der Bühne wird Wenzel Scholz. Ab 1838 spielen Carl und seine Truppe auch im Leopoldstädter Theater. 1845 läßt sich Nestroy von seiner Frau scheiden. Im selben Jahr muß Carl die Leitung des Theaters an der Wien niederlegen. In den folgenden Jahren begibt sich Nestroy auf Gastspielreisen nach Brünn, Prag, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Mainz und Wiesbaden. 1847 wird das umgebaute Leopoldstädter Theater als Carl-Theater wieder eröffnet. 1848 kam es dann zur Revolution in Wien und Nestroy schrieb „Freiheit in Krähwinkel“. Im November kapituliert Wien, es kommt zu Massenverhaftungen und zur Wiedereinführung der Zensur. 1854 wird Nestroy Pächter und Direktor des Carl-Theaters. 1857 und die folgenden Jahre unternimmt Nestroy einige Reisen durch Europa. 1860 verabschiedet er sich vom Publikum des Carl-Theaters und übersiedelt in das Grazer Stadthaus. 1861 kommt er für ein Gastspiel nach Wien. Am 25. Mai 1962 stirbt Johann Nepomuk Nestroy 61jährig in Wien nach einem Schlaganfall.
Werke: „Der Zettelträger Papp“ (1827), „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ (1833), „Das Haus der Temperamente“ (1837), „Zu eben Erde und erster Stock“ (1838), „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“ (1839), „Der Talisman“ (1840), „Das Mädl aus der Vorstadt“ (1841), „Einen Jux will er sich machen“ (1842), „Der Zerrissene“ (1844), „Der Unbedeutende“ (1846), „Freiheit in Krähwinkel“ (1848), „Judith und Holofernes“ (1849)
Sprache und Aufbau
„Der Talisman“ ist eine für Nestroy typische Posse. Eine Posse ist ein kritisches, humorvolles Theaterstück mit Gesang. Es sind öfter Lieder und Couplets in die Handlung eingefügt.
Die meisten Figuren haben sprechende Namen, so heißt die Gärtnerin zB Flora Baumscheer. Die Handlung spielt auf dem Schloß der Frau von Cypressenburg, nahe einer großen Stadt.
„Der Talisman“ ist in drei Akte mit mehreren kurzen Szenen gegliedert. Die Sprache ist eine Mischform zwischen Schrift- und Umgangssprache, zwischen Hochdeutsch und Wiener Dialekt. Nestroy verwendete viele Wortspiele (zB millionärrisch) und eigene Wortbildungen (zB Blumasch’ = Blumenstrauß). Es kommen teilweise auch französische Wörter bzw. Wortbildungen vor (zB Sentiment, Mille-fleurs-Bildung, á-l’enfant-Perücke).
Charakteristik
Titus Feuerfuchs ist ein arbeitsloser Barbiergeselle. Er hat einen roten Lockenkopf und gilt daher als Außenseiter. Er trägt, wie die meisten Figuren, einen sprechenden Namen. Der Tituskopf bezeichnet die aus Frankreich kommende Mode, die Haare in kurzen Löckchen zu tragen. Der Name Feuerfuchs weist doppelt auf die roten Haare hin, gleichzeitig auch auf sein Temperament und seine Schläue. Titus weiß, wie man Frauen mit klugen Reden ganz leicht um den kleinen Finger wickeln kann. Er täuscht die ganze Gesellschaft mit einer Perücke, die ihn selbstsicherer macht. Es gefällt ihm zwar am Gute der Frau von Cypressenburg, doch merkt er schnell, daß alle recht oberflächlich sind.
Frau von Cypressenburg ist Witwe und interessiert sich sehr für Titus (allerdings nur, wenn er gerade keine roten Haare hat bzw. Anwärter auf eine große Erbschaft ist). Die in ihrem Namen versteckte Zypresse symbolisiert Macht und Größe.
Constantia (lat., die Beständige) ist die Kammerfrau der Frau von Cypressenburg und ebenfalls Witwe. Auch Sie hat nur an dem schwarzhaarigen bzw. reichen Titus Interesse. Sie befördert ihn zum Jäger, um ihn für sich zu haben. Sie hat ein Verhältnis zu dem Friseur Monsier Marquis. Sie ist oberflächlich und hat Vorurteile gegenüber Rothaarigen.
Flora Baumscheer ist, wie ihr Name schon verrät, die Gärtnerin. Auch sie ist Witwe und möchte Titus für sich gewinnen. Sie hat ebenfalls Vorurteile gegenüber Rothaarigen.
Monsieur Marquis ist Friseur der Frau von Cypressenburg. Er ist eigentlich gar kein Marquis sondern heißt lediglich so. Er ist Titus sehr dankbar und schenkt ihm den Talisman. Er hat ein Verhältnis mit Constatia und ist eifersüchtig auf Titus.
Salome Pockerl ist Gänsehüterin und hat wie Titus leuchtend rote Haare. Verständlicherweise mag sie Titus auch mit seinen roten Haaren. Sie ist ehrlich und treu und bekommt zum Schluß auch ihren Titus.
Spund ist Titus’ reicher Onkel und verspricht ihm eine große Erbschaft.
Plutzerkern (Plutzer = Kürbis) ist der Gärtnergehilfe im Dienste der Frau von Cypressenburg
Emma ist die Tochter der Frau von Cypressenburg
Inhalt
Zu Beginn treffen sich Salome Pockerl, eine rothaarige Gänsehüterin, und Titus Feuerfuchs, ein arbeitsloser Barbiergeselle. Während ihres Gesprächs rast eine Kutsche, deren Pferde durchgegangen sind, vorbei. Titus hilft dem Reisenden, der sich als Monsieur Marquis vorstellt, und bekommt von ihm als Dank einen Talisman geschenkt, der ihm Glück bringen soll. Der Talisman ist eine schwarze Lockenperücke. Titus weiß nicht so recht wie ihm die Perücke Glück bringen soll, doch er wird das Geschenk bald zu schätzen wissen.
Mit der schwarzen Perücke verkleidet stellt sich Titus am Gute der Frau von Cypressenburg vor. Die verwitwete Gärtnerin Flora Baumscheer scheint Gefallen an ihm zu finden und übergibt ihm sogleich das Kommando über das Gärtnerpersonal. Die ebenfalls verwitwete Kammerfrau Constantia ist auch sehr angetan von Titus’ schwarzer Lockenpracht und befördert ihn zum Jäger.
Monsieur Marquis, eigentlich nicht Träger eines Titels sondern nur Träger eines Namens, seines Zeichens Perückenmacher und Friseur, erscheint auf dem Schloße. Er erkennt Titus, entlarvt ihn aber nicht. Monsieur Marquis hat nämlich ein Verhältnis mit Constantia und möchte nicht, daß Titus ihn verrät. Der Friseur ist jedoch sehr eifersüchtig auf Titus, da er glaubt, dieser sei verliebt in seine Constantia. Er beschließt also, Titus’ den Talisman im Schlaf zu rauben. Gesagt, getan – Titus erstrahlt wieder in seiner roten Haarpracht, jedoch ohne es gleich zu merken. Durch Geräusche aus dem Vorzimmer aus seinem Schlaf geweckt, springt er auf und möchte sich zurechtmachen. Doch als er in den Spiegel sieht und seine schwarzen Locken in Ordnung bringen möchte bemerkt er, daß er gar keine schwarzen Locken mehr hat. In Panik geraten stürmt Titus in das dunkle Zimmer der Constantia und schnappt sich eine Perücke. Doch er hat Pech und erwischt eine blonde, ohne es zu merken.
Frau von Cypressenburg betritt den Raum und ist begeistert und gleichzeitig verwundert über Titus’ schöne blonde Haare, hat man ihr doch schon von seinen schönen schwarzen Haaren berichtet. Doch Titus’ Charme (oder waren es die Haare?) hat wieder einmal Wirkung gezeigt und er wird zum Privatsekretär der Frau von Cypressenburg befördert. Titus will der Gefahr, entlarvt zu werden, vorbeugen und schlägt vor, Flora und Constantia zu entlassen. Er setzt sogleich die Kündigungsschreiben auf.
Frau von Cypressenburg stellt bei einer Gesellschaft am Schloße gerade ihren neuen, hübschen Sekretär vor, als Constantia, Flora und Monsieur Marquis in den Saal stürmen. Es entsteht ein Streitgespräch über Titus Haarfarbe. Titus hat den ganzen Schwindel satt und präsentiert allen seine roten Locken. Die Hofgesellschaft ist entsetzt und Titus wird vom Schloß gejagt.
Der Bierversilberer Spund, der seinen Neffen Titus sucht, erscheint auf dem Schloß. Er ist sehr reich und möchte mit Titus einen Erbschaftsvertrag unterzeichnen. Als Flora davon erfährt und hofft reich zu werden, läßt sie Titus auf das Schloß holen. Titus, der sich gerade damit abgefunden hat, daß sein Leben bei der Hofgesellschaft nur von kurzer Dauer war, hat noch immer einen alten Anzug von Constantias verstorbenen Mann an, den sie ihm zwecks gepflegterem Aussehen geliehen hat. Titus findet in einer der Taschen eine graue Perücke, setzt sie auf und will sich einen Jux machen. Plötzlich ergraut begibt er sich also wieder auf das Schloß, unwissend wer ihn dort erwartet. Sichtlich überrascht, seinen Onkel Spund hier zu treffen, läßt er sich eine Ausrede einfallen. Aus der Affäre gerettet kann er nun den Erbvertrag unterzeichnen. Doch Titus merkt, daß plötzlich alle wieder ganz freundlich zu ihm sind und verzichtet auf das Erbe. Er entlarvt sich erneut selbst und teilt den drei enttäuschten Witwen mit, daß er Salome ehelichen wird.
Interpretation
In Nestroys „Talisman“ geht es vor allem um Außenseiter, die Rothaarigen werden hier vordergründig als Beispiel gebracht. Der Volksglaube sieht rote Haare als einen Fluch an, der auf einem einzelnen oder gar auf einer ganzen Familie haftet. Rothaarige gelten als Teufelsbündler oder Hexen. Heute sind Rothaarige keine Randgruppen mehr, die Gesellschaft hat sich geändert, mit ihr auch ihre Außenseiter. Heute sind zB homosexuelle und behinderte Menschen Außenseiter.
Ebenso zeigt Nestroy die Oberflächlichkeit vieler Menschen auf. Titus wird wegen seiner „häßlichen“ roten Haare gemieden, doch kaum ändert sich seine Haarfarbe in schwarz oder blond, wird er zum hübschen Jüngling und zum Liebling der Witwen. Doch auch an seine roten Haare könnte man sich gewöhnen, wenn einem Reichtum in Aussicht gestellt wird. Titus wird eine Erbschaft versprochen und schon ist man wieder freundlich und nett zu ihm, schon geht der „Kampf der Witwen“ um den (nun nicht mehr hübschen, aber dafür reichen) Jüngling von Neuem los.
„Der Talisman“ ist also ein ebenso kritisches wie witziges Stück, und ist auch heute noch ein Publikumsmagnet.