Autor:
Marie von Ebner-Eschenbach
Biografie:
Marie von Ebner-Eschenbach, geborene Gräfin Dubsky, erblickte am 13.September 1830 auf Schloss Zdislawitz in Tschechien das Licht der Welt. Sie war die Tochter des Franz Graf Dubsky und seiner zweiten Frau Baronin Marie von Vockel. Väterlicherseits hat sie ihre Wurzeln im alten böhmisch-katholischen Adelsgeschlecht der Dubský von Trebomyslice. Mütterlicherseits stammt sie vom Geschlecht der sächsisch-protestantischen Familie Vockel ab. Sie hatte sechs Geschwister. Kurz nach ihrer Geburt verstarb ihre Mutter. Ihre erste Stiefmutter, Eugénie Bartenstein, zu der sie ein enges Verhältnis hatte, verlor sie als siebenjähriges Kind. Drei Jahre später, heiratete Maries Vater in Dritter Ehe Gräfin Xaverine Kolowrat-Krakowsky, eine hochgebildete Frau. Auch mit ihrer zweiten Stiefmutter pflegte Marie ein inniges Verhältnis. Sie erkannte und förderte das schriftstellerische Talent ihrer Stieftochter. Die Sommermonate verbrachte Marie bei ihrer Familie auf dem Schloss in Zdislawic und im Winter wohnte sie in Wien. Viele verschiedene Personen nahmen die erzieherischen Aufgaben von Marie wahr. Dementsprechend wurde sie auch von ganz verschiedenen Personen geprägt: Mütterlicherseits von ihrer Großmutter, väterlicherseits von ihrer Tante Helen, von tschechischen Dienstmägden und von deutschen und französischen Gouvernanten. Folglich hatte sie das Glück, verschiedene Sprachen erlernt zu haben: Deutsch, Französisch und Tschechisch wobei Französisch die Muttersprache war.
1848, mit 18 Jahren, heiratete Ebner-Eschenbach ihren Cousin Moritz von Ebner-Eschenbach, den Sohn ihrer Tante Helen. Sie zog zu ihrem 15 Jahre älteren Mann nach Klosterbruck bei Znaim in Südmähren. Moritz war selber auch ein sehr gebildeter Mann und unterstützte Marie in ihrem Schriftstellerdrang. Die Ehe zwischen Marie und ihrem Vetter blieb kinderlos. Im Jahre 1856 zog sie dann definitiv nach Wien, wo sie dann 1879 auch eine Uhrmacher-Ausbildung absolvierte, was damals sehr ungewöhnlich war für eine Frau. Und so kam es, dass sie sich im Laufe der Zeit ganz der Literatur zuwandte. Während fast 20 Jahren schrieb sie Dramen (Gesellschaftsstücke und Lustspiele), inspiriert von Friedrich von Schiller, die jedoch nicht sehr erfolgreich waren. Nachdem sie sich mit wenig Erfolg als Dramatikerin betätigt hatte, konnte sie die Aufmerksamkeit 1876mit ihrem ersten Kurzroman „Božena“, welcher in der „Deutschen Rundschau“ abgedruckt worden war, auf sich ziehen. Sie versuchte sich nun als Schriftstellerin, was sich als regelrechter Erfolg auswies. Mit den Werken wie die „Aphorismen“ (1880) und den „Dorf- und Schlossgeschichten“ gelang ihr schlussendlich den endgültigen Durchbruch. Letztgenanntes enthält ihre bekannteste Novelle „Krambambuli“. Sie konzentrierte sich nun auf ihre erzählerischen Dichtungen, in denen man Elemente ihrer sozialen Art und ihres politischen Bewusstseins vorfinden kann. Ihr ganzes Leben lang kämpfte sie gegen die „normalen“ Gedanken ihrer Zeit und setzte sich für eine aktive Frau ein.
Sie schrieb nicht etwa um den Familienunterhalt zu finanzieren, sondern vielmehr mit der ihrer Inspiration und Überzeugung, ihre Schriften könnten die Gedanken ihrer Zeit verändern. Ab 1890 fand Marie von Ebner-Eschenbach mit ihren dialogischen Novellen ihren dramatischen Schreibstil. Im Jahre 1898 wurde sie schlussendlich mit dem höchsten zivilen Orden Österreichs, dem Ehrenkreuz für Kunst und Literatur, ausgezeichnet. 1900 erhielt sie sogar den ersten weiblichen Ehrendoktortitel von der Wiener Universität. 1899 verstarb ihr Gatte. Nach 1899 unternahm sie verschiedene Reisen nach Italien bis sie im Jahre 1906 ihre Erinnerungen „Meine Kinderjahre“ veröffentlichte. Nach einem langen, erfolgreichen Leben starb die hervorragende, gesellschaftskritische Vertreterin der realistischen Erzählungen, Marie von Ebner-Eschenbach, am 12. März 1916 in Wien und wurde in Zdislawic begraben.
(Quelle: www.wikipedia.org)
Erklärung des Titels:
Ein Gemeindekind ist ein Kind, das ohne Eltern und Bezugsperson aufwachsen muss und um das sich die Gemeinde zu kümmern hat, weil sich niemand seiner annehmen will. Meist geschieht dies eher unfreiwillig und die Bewohner des Dorfes sind nicht gerade erfreut darüber, dass sie noch ein Kind zu ernähren haben, mit dem sie im Grunde nichts zu tun haben wollen. Das Kind ist vollkommen auf sich allein gestellt und muss sich, sozusagen, selbst „erziehen“.
Schauplatz:
Soleschau
Zeit:
1860 und darauffolgende 10 Jahre
Zeitspanne:
10 Jahre
Milieu:
ländliche Unterschicht
Inhalt:
Es wird das Schicksal zweier Kinder erzählt, deren Vater wegen Mordes gehenkt worden ist und deren Mutter unschuldig eine zehnjährige Haft im Zuchthaus verbüßen muss. Während das hübsche Mädchen Milada das Mitleid einer Gutsbesitzerin erregt und auf deren Kosten in einer städtischen Klosterschule erzogen wird, fällt ihr Bruder Pavel der Gemeinde des mährischen Dorfes zur Last, die nur widerwillig ihrer Pflicht nachkommt. Er kommt zur Familie des Hirten Virgil, dessen Frau als Hexe verschrien ist und die ganze Familie zu den verachtetsten Menschen im Dorf zählt. So kommt es, dass Pavel stolz auf seinen schlechten Ruf und seine Diebstähle ist. Sein Hass und Trotz gegenüber den Leuten im Dorf, erzeugt durch Hunger, Prügel und Beschimpfungen wachsen von Tag zu Tag. Nur der hübschen Tochter des Hirten, Vinska, fühlt er sich ergeben, obwohl er fühlt, dass sie ihn nur ausnutzt und verspottet, da sie eigentlich Peter, den Sohn des Bürgermeisters, heiraten will. Als der Bürgermeister, der gegen diese Heirat ist, stirbt, ist Pavel als Giftmischer verschrien, da er dem Bürgermeister heimlich ein schmerzstillendes Mittel von der Frau des Hirten überbringen musste. Dieser Schimpfname und die Verachtung durch die Bewohner des Dorfes bleiben ihm, obwohl sich später seine Unschuld erweist.
Nach jahrelanger Trennung darf Pavel seine Schwester im Kloster besuchen. Milada ist voll Entsetzen über Pavels Einstellung und redet auf ihn ein, ein braver Mensch zu werden. Pavel ist daraufhin der festen Überzeugung seinen Ruf verbessern zu wollen. Er versucht sich in der Gemeinde nützlich zu machen, weicht allen Prügeleien aus und bezwingt seinen Menschenhass, obwohl er auch weiterhin beschimpft und verspottet wird, geht zur Schule und findet im Lehrer Habrecht seine einzige Bezugs- und Vertrauensperson. Unbeirrbare Rechtschaffenheit, die einmal auch die Achtung seiner Mitmenschen finden wird, ist der Sinn seines Lebens geworden. Trotzdem zeigt die Dorfjugend, vor allem Peter, dem er sogar das Leben bei einem Unfall mit einem Lokomobil gerettet hat, keine Einsicht. Sie zerstören, was er sich mühevoll aufgebaut hat und Pavel muss sich sehr beherrschen, es ihnen nicht wieder mit Prügeln zu vergelten. Erst nach einer ungerechten Geldforderung des Gemeinderates kommt es zu einer Prügelei im Wirtshaus. Pavel behauptet sich zwar, aber die neuen Umstände machen ihn einsam, da der Lehrer in eine andere Stadt versetzt worden ist. Bald folgt ein neuer Schicksalsschlag.
Milada stirbt, völlig geschwächt durch Buß- und Fastenübungen. Als Pavel von der Beerdigung zurückkehrt, findet er seine Mutter vor. Sie will eigentlich nur nach ihren Kindern sehen und gesteht Pavel, dass sie unschuldig war. Um ihn vor dem schlechten Gerede der Leute zu verschonen, will sie nicht bei ihm bleiben, sondern im Krankenhaus des Gefängnisses arbeiten. Pavels Charakter hat sich nun gefestigt und er hat seinen Platz im Dorfe und im Leben gefunden, an der Seite seiner Mutter, die er nach der Verbüßung ihrer Zuchthausstrafe trotz aller bösen Nachrede bei sich aufnimmt.
Personen:
Pavel Holub:
Der Junge ist von Anfang an nicht gerade das, was man „brav“ nennen kann, was aber mehr der mangelhaften Erziehung und Zuwendung der Eltern zuzuschreiben ist, als dem Buben allein. Aufgrund eines Verbrechens wird sein Vater hingerichtet und seiner unschuldigen Mutter eine Haftstrafe von 10 Jahren auferlegt.
Für die Dorfbewohner stellt sich nun die Frage: Was soll mit den beiden Kindern die wegen der Taten ihrer Eltern ein sehr schlechtes Ansehen haben, geschehen?
Die beiden sollen bei der Gutsfrau des Schlosses untergebracht werden, doch die weigert sich Pavel, den Buben, bei sich aufzunehmen, darum gelingt es nur dem Mädchen Milada, bei ihr Unterschlupf zu finden. Die Gemeinde ist ratlos, was Pavel betrifft, der nach langem Hin und Her vom Hirten Virgil und dessen Familie aufgenommen wird, die aber dafür mit ihm machen darf, was sie will und auch noch zusätzlich eine Art „Lohn“ dafür bekommt. Nun ist Pavel ein „Gemeindekind“ ohne wirkliche Bezugsperson, das auf die Güte der Leute angewiesen ist.
Während Milada ein prunkvolles Leben im Schloss genießt, wird Pavel jeden Tag mit der Schande seiner Eltern konfrontiert, die, laut den Bürgern, auf ihn abgefärbt hat und der Junge darum mit den vielen Vorurteilen gegen seine Person leben muss.
Pavel liebt seine Schwester Milada fast abgöttisch und kommt anfänglich überhaupt nicht damit zurecht, dass er von nun an ohne sie leben muss, da durch die Trennung der Geschwister nicht nur eine räumliche Distanz entstanden ist, sondern auch die soziale Kluft kaum mehr zu überwinden ist. Er versucht die positiven Seiten dieser Trennung zu sehen und versucht sich noch einzureden, dass es doch nicht so schlimm ist, doch schon bald wird er eines Besseren belehrt und erkennt, wie sehr ihm Milada doch fehlt: „ Als er zum ersten Male ohne die Schwester zur Ruhe gegangen war, hatte er gedacht: Heut wird’s gut, heut weckt er mich wenigstens nicht auf, der Balg. Am frühesten Morgen aber befand er sich schon auf der Dorfstraße und lief geraden Weges zum Schlosse.“( Ebner-Eschenbach, Marie von ; Das Gemeindekind. 1985 Phillip Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart; S. 12). Obwohl der Bub scheint, als könnte ihn nichts erschüttern, macht ihm die Trennung seiner Schwester schwerer zu schaffen als er sich gedacht hätte und so ist auch er seinen Gefühlen unterlegen: „Mit der Schnelligkeit eines Blitzes, mit der Gewalt des Sturmes kam das verwaisende Gefühl der Trennung über ihn und warf ihn nieder. Der harte Junge brach in Tränen, in ein leidenschaftliches Schluchzen aus […].“ (a.a.O., S.14).
Darum nimmt er sich vor, Milada aus dem Schlosse zu entführen, um nicht länger diesem Schmerz ausgesetzt sein zu müssen. Doch sein ganzer Mut und seine Willenskraft nützen ihm nichts, denn er wird erwischt und muss sich nun seiner gerechten Strafe stellen. Vor der ganzen Klasse erhält er Prügel durch den Lehrer, der aber Mitleid und Nachsicht mit dem armen Jungen hat. Doch Pavel macht diese Strafe kaum etwas aus, da er ja noch von früher, als er mit seinen Eltern gelebt hat, von seinem alkoholisierten Vater einiges gewohnt ist und er eher der schweigsame Typ ist, der nicht so gerne redet, sondern lieber seine Taten sprechen lässt, die jedoch meist nicht von positiver Natur sind.
Auch mit der Zeit verschwindet Pavels Sehnsucht nach der Schwester nicht, die wieder aufflackert, als er sie in einer Kutsche der Baronin wegfahren sieht. Zuerst ist er sich nicht ganz sicher, ob es sich bei der Erscheinung in der Kutsche tatsächlich um Milada handelt, da er die Hoffnung, sie wiederzusehen beinahe aufgegeben hat. Doch als auch sie seiner gewahr wird und seinen Namen ruft, besteht kein Zweifel mehr. Er läuft dem Wagen nach, wird aber durch Peitschenhiebe davon ferngehalten und kann nur noch stumm zusehen, wie seine Schwester am Horizont immer kleiner wird. Trotzdem ist er glücklich, sie doch wenigstens kurz gesehen und die Versicherung zu haben, dass es ihr bei der Baronin gut geht: „Seine Schwester war ein Fräulein geworden und war fortgefahren in die Stadt. Wenn er jetzt ans Gartentor kam, mochte er nur vorübergehen; mit der Freude, nach der Kleinen auszulugen, war es nun nichts mehr. Herb und trostlos fiel der Gedanke an den Verlust seines einzigen Glückes dem Jungen auf die Seele. Gern hätte er geweint, aber er konnte nicht; er wäre auch gern gestorben, gleich hier auf dem Fleck.“ (a.a.O.; S.26).
Der erste Lichtblick in seinem Leben sind die Stiefel, die der Lehrer ihm verspricht, wenn er acht Tage hintereinander die Schule besucht. Da Pavel in solch schlechten Verhältnissen leben muss und sich die Gemeinde eigentlich gar nicht um ihn kümmert und er nie auch nur etwas Neues zum Anziehen bekommt, freut er sich umso mehr und strengt sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich an, um das zu erreichen, was er sich sehnlichst wünscht. Auch wenn es ihn nicht besonders freut, in die Schule zu gehen, hält er trotzdem durch, da der Gedanke an die neuen Stiefel ihn dermaßen anspornt, dass er sicherlich noch schlimmere „Qualen“ durchgestanden hätte.
Als er nun endlich im Besitz seiner neuen Stiefel ist, versucht ihm Vinska, die Tochter des Hirten Virgil, diese streitig zu machen, indem sie ihm einredet, der Lehrer sei ein Hexenmeister und die Stiefel wären am nächsten Tag gewiss verschwunden. Er hat sich geziert ihr zu sagen, woher er die Stiefel hat, da er ganz genau weiß, dass Vinska nichts Gutes im Schilde führt. Obwohl Pavel eigentlich von Natur aus kein Mensch ist, der solchen Lügengeschichten Glauben schenkt, ist er sich doch nicht so ganz sicher, ob an dieser Geschichte vielleicht doch etwas stimmen könnte. Doch am nächsten Tag sind die Stiefel wirklich nicht mehr an ihrem Platz, doch Pavel verliert kein Wort darüber.
Von Tag zu Tag verschlechtert sich sein Ruf, obwohl der Bub in den meisten Dingen unschuldig ist. Doch er sagt nichts, sondern nimmt alles schweigend auf sich, auch, wenn er gar nichts Böses im Sinn hatte. So zum Beispiel der Vorfall mit dem Rebhuhn, das er vor einer Katze retten wollte, er jedoch, wie es der Zufall so will, vom Lehrer erwischt und beschuldigt wird, dass er das Rebhuhnnest ausnehmen wollte. Pavel aber hüllt sich in Schweigen, was vor allem den Grund hat, dass er einen Groll gegen den Lehrer hegt, weil er glaubt, dass er ihm die Stiefel wieder weggenommen hat. Seitdem hat Pavel kein Vertrauen mehr zum Lehrer Habrecht, der ihm im Grunde nur helfen und auf einen besseren Weg führen will. Doch nicht nur in dem Fall, immer, wenn etwas Schlimmes passiert wird Pavel zur Rechenschaft gezogen: „Fand sich im Walde irgendeine böswillige Beschädigung vor, sie war sein Werk. Entdeckte man eine Schlinge, er hatte sie gelegt; fehlten Hühner, Kartoffeln, Birnen, er hatte sie gestohlen. Trat ihn jemand an und drohte ihm, dann stellte er sich und starrte ihm stumm ins Gesicht.“ (a.a.O.; S.29)
Pavel kann und will dagegen nichts unternehmen, sondern versucht noch zusätzlich den Hass auf ihn zu schüren und macht den Leuten in der Gemeinde alles zu Fleiß. Er empfindet für die Bewohner nur noch Zorn und Verachtung für das, was sie ihm versuchen anzuhängen.
Auf dem Kirchenfest sieht Pavel Vinska, die seine Stiefel trägt, und wird rasend wütend. Er ist nicht so sehr von der Idee angetan, sie ihr in aller Öffentlichkeit wieder abzunehmen, sondern will ihr lieber nach dem fest zuhause auflauern. Als er sie bei Hineinschleichen abpasst, zeigt sich Vinska ganz reuig, doch Pavel glaubt ihr nicht und überliegt sich eine gerechte Strafe für sie. Es geht ihm nicht mehr nur um die Stiefel; er will Vergeltung für die Bosheiten, die sie ihm immer antut und verbiete ihr, sich mit Peter, dem Sohn des Bürgermeisters zu treffen. Sie verspricht es ihm, aber er merkt, dass sie es nicht ehrlich meint.
Anfangs dachte Pavel, die heftigen Gefühle, die er für seine „Stiefschwester“ hegt rühren eher daher, dass er das Bedürfnis hat, sie zu schlagen, weil sie ihn ständig schlecht behandelt, doch nach und nach bemerkt er, dass er sich in sie verliebt hat und deswegen nicht will, dass sie sich weiterhin mit dem Sohn des Bürgermeisters trifft. Vor allem, weil es schient, dass Vinska bei Peter ernste Absichten hegt und Pavel daher eifersüchtig ist.
Der Brief seiner Mutter aus dem Zuchthaus lässt ihn kalt und er verschwendet keinen Gedanken daran, ihrer Bitte, ihr zurückzuschreiben, nachzugehen. Trotzdem empfindet er Mitleid mit ihr und kann ihr doch nicht verzeihen, welche Schande sie und sein Vater über ihn gebracht haben. Dass er nun unter ihren Taten leiden muss, obwohl er doch nichts getan hat, sieht er nicht ein, was sicherlich der Beweggrund dafür ist, warum er sich so vehement weigert, ihr zu antworten: „Und aus dem schwankenden Zweifel wuchs ein fester Entschluss hervor: Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ihren Brief zerriss er in Fetzen.“ (a.a.O.; S. 43).
Da er sich ernsthaft in Vinska verliebt hat, kann er ihr auch keinen Wunsch mehr abschlagen, so sehr er sich auch dagegen zu sträuben versucht. Er mimt den Kühlen und versucht, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen und trotzdem kann er sich nicht dagegen wehren. Als er für Vinska Pfauenfedern stiehlt, wird er erwischt und zur Baronin gebracht, die ihn zur Rede stellt. Auf die Frage, ob ihn jemand zu dem Raub angestiftet hat, hüllt er sich wie immer in Schweigen und beschuldigt nicht die Urheberin dieser Tat, Vinska. Auch als die Baronin diese zur Sprache bringt, erwähnt er sie mit keinem Wort und nimmt alles auf sich: „ …da überkam ihn eine Todesangst vor den schlimmen Folgen, welche dieser Verdacht für die Tochter des Hirten haben könnte, und fest entschlossen, ihn abzuwenden, sprach er mit dumpfer Stimme: „Es hat mich niemand angestiftet; ich hab’s aus Bosheit getan.““ (a.a.O.; S. 50) Pavel will das Mädchen vor einer Strafe beschützen und setzt sich selbst eher einer solchen aus, als dass Vinska etwas erleiden muss.
Als die Baronin ihm von den unzähligen Briefen Miladas erzählt, die sich im Kloster befindet und ständig bittet, dass
Pavel sie besuchen kommt, springt dem jungen Burschen das Herz vor Freude und er will sie unbedingt sehen. Das unerreichbare Ziel seiner jahrelangen Sehnsucht stand plötzlich nahe vor ihm; […] Das Herz hüpfte ihm vor Freude; ein Jauchzen, das er nicht unterdrücken konnte, drang aus seiner Kehle;“ (a.a.O., S. 52) – dies ist seine Reaktion, als ihm die Baronin gewährt, seine Schwester im Kloster zu besuchen. Als es nun endlich zu dem langersehnten Treffen der Geschwister kommt, ist Pavel überglücklich und will die Schwester gar nicht mehr verlassen. Am liebsten würde er im Kloster als Knecht arbeiten, doch als er dieses Anliegen der Oberin vorbringt muss er sich damit abfinden, dass im Kloster keine Stelle frei ist und er wieder nach Hause gehen muss. So schwer es ihm auch fällt Milada wieder alleinzulassen, die sich gebärdet und ihn begleiten will, mach t er sich doch wieder auf den Weg in sein Dorf. So gerne er seine Schwester auch mitgenommen hätte, ihm ist bewusst, dass dies nicht das Beste für sie wäre und sie lieber im Kloster verweilen soll: „ Pavel stöhnte; der Hilferuf der Kleinen schnitt ihm ins Herz, und doch blieb er unbefangen genug um zu denken: Was sie verlangt, ist unmöglich, was sie sich zutraut, geht weit über ihre Kräfte.“ (a.a.O.; S. 68) Er denkt nicht an sein eigenes Wohl, sondern an das Wohl Miladas. Wie schon in der Sache mit Vinska erkennt man, dass Pavel ein vollkommen selbstlos handelnder Mensch ist und lieber selbst Qualen auf sich nimmt, als sie zu verursachen.
Der Besuch bei Milada, die ein anständiges Mädchen geworden ist, hat einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen und er hat ihr zuliebe das Versprechen abgelegt, dass auch er sich bessern wird: „ Lieber Herrgott, du siehst, dass ich den rechten Weg eingeschlagen habe; jetzt, lieber Herrgott, pass auf, dass ich ihn nicht wieder verlassen muss.“ (a.a.O.; S. 81)
Milada hat ihn auch auf die Idee gebracht, Geld zu verdienen und der Mutter ein Haus zu bauen, in das sie einziehen kann, wenn sie aus der Haft entlassen wird. Da Pavel auch seiner Schwester keinen Wunsch abschlagen kann, da sie das Einzige auf der Welt ist, das ihm wichtig ist, gewährt er ihr diesen Wunsch und will sich anständige Arbeit suchen. Bevor Pavel nach Hause geht, gibt sie ihm das Taschengeld der Baronin mit um das Vorhaben des Hausbauens zu unterstützen.
Mitten ins Herz trifft es ihn, als er Vinska mit Peter sieht und sie sogar die Absicht äußert, Peter zu heiraten. In seiner Wut, dass Vinska ihr Versprechen, Peter nicht mehr zu sehen, gebrochen hat, läuft er weg. Er trifft auf Arnost und ein paar andere Burschen, die den Geldbeutel von Milada sehen und Pavel unterstellen, dass er es gestohlen hat. Der Junge weiß nicht wohin und flüchtet sich im Affekt zu Lehrer Habrecht, der ihm auch Unterschlupf gewährt. Da Pavel Vertrauen zu diesem gefasst hat, erzählt er ihm woher er das Geld hat und bittet ihn um Hilfe. Der Lehrer vertreibt die Verfolger und versteckt Pavels Geld. Pavel ist ihm sehr dankbar und im Laufe der Geschichte freundet er sich immer mehr mit Habrecht an und dieser wird zu seiner ersten richtigen Bezugsperson. Darum hat Pavel den Wunsch beim Lehrer zu wohnen und für ihn ohne Entgelt zu arbeiten und Virgil und dessen Familie, die sich nie wirklich um ihn gekümmert haben, zu verlassen. Doch dazu ist das Einverständnis des Bürgermeisters notwendig, der jedoch im Sterben liegt. Die Frau des Hirten soll für den Bürgermeister eine Medizin bringen, damit er von seinem Leiden geheilt wird. Doch sie hat einen teuflischen Plan ausgeheckt: dem Bürgermeister soll Gift gegeben werden, damit Vinska ohne Hindernisse Peter heiraten kann. Darum wird Pavel in ihrem Auftrag geschickt. Als jedoch der Bürgermeister am nächsten Tag tot aufgefunden wird, wird Pavel angeklagt ihn vergiftet zu haben. Auch hier wird Pavel wieder zu Unrecht beschuldigt, kann aber nichts dagegen unternehmen, da er von Vinska gebeten wird, nicht gegen die Mutter auszusagen und alles auf sich zu nehmen. Wieder verlangt Pavel von dem Mädchen, dass sie Peter aufgibt und stattdessen ihn nimmt, doch diesmal weigert sie sich und Pavel kommt vor Gericht, wo er tatsächlich vorgibt, dass er die Medizin aus freien Stücken gebracht hat. Nur der Lehrer Habrecht glaubt ihm nicht und verlangt eine Obduktion der Leiche. Es stellt sich heraus, dass Pavel wirklich unschuldig ist. Wieder hat er die Schuld nur Vinska zuliebe auf sich abgewälzt, damit ihre Mutter nicht verdächtigt wird. Obwohl sie immer wieder gemein zu ihm ist, kann der Junge einfach nicht anders als das zu tun, was sie von ihm verlangt.
Aber in der Zwischenzeit hat sich Pavel sehr verändert, was auch die Familie des Virgil bemerkt, als dieser aus der Haft wieder nachhause kommt, um zu verkünden, dass er von nun an beim Lehrer wohnen wird: „Sie blickten ihm betroffen nach. Der hat sich verändert in den zwei Monaten! …Als ein Bub war er fortgegangen, als ein Bursche kam er heim;“ (a.a.O.; S.104)
Pavel arbeitet hart, um den Traum vom Haus verwirklichen zu können und schafft es schließlich durch seinen Fleiß, ein Grundstück zu erwerben. Da Vinska mittlerweile Peter geheiratet hat, vermeidet Pavel jeglichen Kontakt mit der Familie, da er fürchtet, das Mädchen wiederzusehen. Ihm liegt immer noch viel an ihr und er könnte es wohl kaum ertragen, sie zusammen mit Peter zu sehen. Er lehnt es sogar ab, die Frau des Hirten zu besuchen, die auch schon im Sterben liegt und gerne möchte, dass Pavel sie ein letztes Mal besucht. Doch dies schlägt er aus, da er Angst hat, dabei Vinska über den Weg zu laufen, die er doch bisher so erfolgreich vermeiden konnte.
Die Versetzung des Lehrers Habrecht, der einzigen Person, der er vertraut, macht Pavel schwer zu schaffen und er kann und will dies gar nicht glauben. Er ist enttäuscht, dass er diese Nachricht zuerst vom Pfarrer hört, als von Habrecht, der dieses Thema erst viel später zur Sprache bringt. In gewisser Weise fühlt sich Pavel verraten und es wird ihm bewusst, dass er seine einzige Bezugsperson verliert, die ihm niemand ersetzen kann. Trotzdem versucht er sich seine Gefühle dem Lehrer gegenüber nicht anmerken zu lassen: „Der Bursche brachte das Gespräch nicht mehr auf die immer näher heranrückende Trennung, wurde nur stiller, trauriger, führte aber sein arbeitsvolles Leben fort und suchte die Gesellschaft seines Gönners nicht öfter auf als zu jeder andern Zeit.“ (a.a.O.; S. 123)
Er will nicht schon wieder von einer ihm lieb gewordenen Person getrennt werden. Schon die Trennung von Milada hat dem Jungen schwer zugesetzt und er kann es sich gar nicht vorstellen, wie es ohne seinen Freund werden wird. Als dieser auch noch abreist, ohne sich zu verabschieden, weiß sich Pavel in seiner Trauer, die schließlich in Wut umschwingt, nicht mehr zu helfen und mit ihr umzugehen: „Er schleuderte den Sessel in die Ecke und führte einen Fußtritt gegen den Tisch, dass er krachend umstürzte…Was brauchte Pavel das Zeug? Was brauchte er Erinnerungen an den, der ihn so treulos verlassen hatte? Fort, fort sein einziger Freund.“ (a.a.O.; S. 128)
Pavel ist kein von Grund auf schlechter Mensch, was er beweist, als er Peter, seinem wohl schlimmsten Feind, das Leben rettet. Doch auch hier wird ihm dieser Verdienst nicht gedankt. Er soll auch noch die Rechnung für den Zaun zahlen, der bei der Rettungsaktion zu Bruch gegangen ist. Der Bursche sieht das nicht ein und beschließt, am nächsten Sonntag mit den Bauern zu reden, die ihm die Rechnung anhängen wollen, da er den Zaun ja schließlich kaputtgemacht hat. Die Bauern wollen nicht nachgeben und Pavel zahlt den Betrag ohne Widerstand. Ein Zeichen dafür, dass er sein Versprechen, sich zu bessern, ernst genommen und auch eingehalten hat. Früher hätte er nicht so widerstandslos gehandelt, doch er zahlt es ihnen verbal heim, indem er ihnen all ihre Ungerechtigkeiten an den Kopf wirft, die sie ihm zuteil werden ließen. Als Peter einen Bierkrug nach ihm wirft, jedoch Arnost trifft, bricht eine Prügelei aus. Doch diesmal kann Pavel nichts dafür und hält sich auch eher im Hintergrund, bis Peter mit einem Messer auf ihn losgeht. Er kann Peters Angriff abwehren, tut ihm aber nichts, da er weiß, dass sein Handeln nicht richtig wäre: „Da lief ein Schauer über Pavels Rücken, und sein Zorn erlosch… Er ließ Peter langsam niedergleiten, sagte: “Ich mein, du hast genug!“ und warf ihn seinen Freunden zu, die den Wankenden, halb Besinnungslosen schweigend aus der Stube geleiteten.“ (a.a.O.; S.153)
Kurz darauf erhält Pavel noch einen Brief von seienr Mutter, die um Nachricht ihrer Kinder bittet. Da der Junge ihr nicht ohne Nachricht von Milada antworten will, macht er sich auf den Weg zur ihr ins Kloster. Pavel macht sich keine Hoffnungen, seine Schwester selbst zu Gesicht zu bekommen und nach ihrem Befinden zu fragen und wäre schon froh, wenn man ihm wenigstens Auskunft geben könnte. Doch zu seinem Erstaunen lässt man ihn sogar bis zu Milada vor. Als er die Schwester vollkommen abgemagert sieht, fürchet er um ihre Gesundheit, da es ihr anscheinend nichts ausmacht und sie es auch nicht der Rede wert findet. Doch Pavel ist da anderer Meinung und erschüttert, dass die Klosterschwestern nichts dagegen unternehmen: „Mir bangt um meine Schwester; sehen Sie nicht, dass sie sich verzehrt in Arbeit, Gebet und Buße?“ (a.a.O.; S.164) Die ernsthaften Sorgen, die er sich um Milada macht, quälen ihn zutiefst und im Nachhinein macht er sich selbst zum Teil verantwortlich, da er meint, dass es seine Pflicht gewesen wäre, die Oberin darauf hinzuweisen. Doch dann war es schon zu spät, da er nicht mehr eingelassen wurde. Deshalb beschließt der Junge, sich an die Baronin selbst zu wenden, da diese vielleicht mehr ausrichten kann als er. Pavel will um jeden Preis der Schwester die Qualen ersparen, die sie seiner Meinung nach im Kloster durch die harte Arbeit erleiden muss, auch wenn sie es selbst so möchte. Seine Zuneigung zur Baronin hat sich bis jetzt immer in Grenzen gehalten, da sie indirekt daran Schuld trägt, dass er von seiner Schwester getrennt wurde, doch als er die mittlerweile schon alte, gebrechliche Frau dort sitzen sieht und auch an das Leiden Miladas denkt, kann er sich ein Herz fassen und sein Anliegen vortragen: „ Er erinnerte sich besonders deutlich der großen Abneigung, die ihm die Frau Baronin eingeflößt hatte und die in solchem Gegensatz zu der Hochachtung stand, von welcher er sich jetzt durchdrungen fühlte.“ (a.a.O.; S.177) Zu diesem Zeitpunkt merkt Pavel das erste Mal, dass nicht sie es ist, die sich verändert hat, sondern, dass er derjenige ist, mit dem eine deutliche Wandlung vorgegangen ist. In dieser Hinsicht hat der einst schlimme und verständnislose Bub viel an Reife dazu gewonnen: „Er war ein anderer, ein reicherer Mensch, nicht mehr der stumpfe, für den es nichts Verehrungswürdiges gibt, weil ihm der Sinn, es zu erkennen, fehlt.“ (a.a.O.; S.177)
Auch die Baronin stellt fest, dass Pavel ein besserer Mensch geworden ist und schenkt ihm daher ein Stück Grund, dass er nach Belieben bebauen darf. Der Junge kann es zuerst gar nicht glauben und hält dieses Geschenk für einen schlechten Scherz. Seit dem Lehrer hat ihn niemand mehr so mit etwas erfreut. Nie wurde ihm etwa geschenkt. Alles, was er erwarb, musste er sich schwer erarbeiten und niemand hat sich darum gekümmert, dass auch ihm einmal etwas Gutes widerfährt. Pavel kann seine Freude gar nicht richtig ausdrücken, da er so berauscht ist von der Großzügigkeit der Baronin: „Pavel kannte sich nicht mehr; sein Entzücken überwand seine Schüchternheit, er stürzte auf den Tisch zu, schob ihn zur Seite, ergriff die Hände der Gutsfrau und küsste sie, […]“ (a.a.O.; S.178)
Schon seit Vinska hat Pavel eigentlich mit Liebe nichts mehr zu tun, bis er eines Tages Gefallen an Slava findet, ein Mädchen, das er nie besonders gemocht hat. Diese geht jeden Tag an seiner Hütte vorbei, wobei sie immer ihren Schritt verlangsamt und das kleine schiefe Häuschen anschaut. Als sich dies öfters wiederholt, wird Pavel zuerst wütend, da er nicht recht weiß, was sie eigentlich von ihm will und herrscht sie unfreundlich an. Er stellt sie zur Rede und erinnert sie an die bösen Sachen, die sie ihm in ihrer Kindheit angetan hat und die Pavel bis heute nicht vergessen konnte. Doch Slava kann sich daran nicht mehr erinnern und die beiden werden Freunde. Schon lange hat Pavel nicht mehr diese Gefühle für ein Mädchen gehegt und sie sind ihm auch nicht mehr so ganz fremd wie anfangs bei Vinska, doch er will sie sich nicht eingestehen, da er zum einen weiß, dass diese Beziehung nie gut gehen würde, und zweitens, weil auch sein Freund Arnost großes Interesse an Slava zeigt: „Dass Pavel in die Reihen der Bewerber um die Gunst oder die Hand des hübschen Mädchens zu treten beabsichtige, schien ihm so ausgemacht, dass er nicht einmal danach fragte, und sein Freund, dem er das zu verstehen gab und der schon hatte sagen wollen: Bist ein Narr, ich denk nicht an sie, sie ist mir gleich wie was, verschluckte diese Antwort; denn – er wollte nicht lügen.“ (a.a.O.; S.188)
Er hätte gerne um ihre Gunst geworben, doch als er von Hanusch, einem jungen Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Pavel zu provozieren, zur Weißglut gebracht wird und in seiner Wut ein Beil nach ihm wirft, Hanusch aber knapp verfehlt, sieht er ein, dass er eine Frau nie würde glücklich machen können: „… aber wie soll denn ich heiraten, wie soll denn ich ein Weib nehmen, ich, dem’s alle Tag geschehen kann, er weiß nicht wie, dass er einen erschlagen muss, weil er sich nicht anders helfen kann?“ (a.a.O.; S.195) Darum lässt er Arnost den Vortritt, der auch ein Auge auf Slava geworfen und dieselben Absichten bei ihr hat, wie Pavel, der sich im Klaren darüber ist, dass er ewig allein sein wird: „ … ich bleib der einsame Mensch, zu dem ihr mich gemacht habt.“ (a.a.O.; S.196) Ihm ist bewusst, dass es jetzt zu spät ist, daran etwas zu ändern und, dass er keine Schuld an dem trägt, was aus ihm geworden ist. In diesem Punkt hat er sich selbst völlig aufgegeben.
Auf der Hochzeit von Arnost und Slava hat Pavel das erste Mal den Eindruck, dass er ein integrierter Bestandteil der Dorfgemeinde und kein ausgeschlossener Außenseiter mehr ist. Nie hätte er auch nur zu denken vermocht, dass die Leute über die Schande, die seine Eltern über ihn gebracht haben, hinwegsehen und ihn so akzeptieren würden, wie er ist.
Doch diese Freude verfliegt rasch wieder, als er einen Brief der Baronin, die ein paar Tage im Kloster bei Milada verbringt, erhält, der ihn bittet, so schnell wie möglich zu kommen. Er erwartet das schlimmste und muss zu seinem Unglück erfahren, dass seine geliebte Schwester, sein Ein und Alles, gestorben ist. Der Junge will dies einfach nicht für wahr haben und macht der Gutsfrau indirekt Vorwürfe, dass sie nichts unternommen hat, als er sie deswegen aufsuchte. Aber Pavels Anstand bringt ihn dazu, seine Gedanken nicht in Worte zu fassen. Bei Miladas Beerdigung tut es Pavel leid, dass er diese Gedanken gegen sie gehegt hat, da er sieht, dass die Baronin noch mitgenommener ist als er selbst.
Am selben Tag trifft auch endlich die Mutter bei ihm ein, die nun nach 10 langen Jahren ihre Strafe abgebüßt hat. Als diese Pavels Wunsch, bei ihm zu wohnen verweigert, da sie ihn nicht noch einmal der Schande aussetzen will, die sie schon einmal über ihn gebracht hat und stattdessen als Krankenwärterin arbeiten möchte, ist der Bursch außerstande dies zuzulassen. Denn nur für sie hat er das Haus errichtet und mit viel Fleiß und Mühe all das aufgebaut. Und nun, da Milada, die ihm das Liebste auf der Welt war, tot ist, bleibt ihm niemand mehr außer seiner Mutter, die jetzt für ihn das Teuerste im Leben ist. Zum Abschluss möchte er nur noch einmal von ihr persönlich hören, dass sie unschuldig verhaftet wurde, damit er darin endlich Gewissheit hat und sich nicht mehr für sie schämen muss.
Milada Holub:
Als das Mädchen den Eltern entrissen wird, ist sie fast noch zu jung, um zu begreifen, was vor sich geht. Dich im Gegensatz zu ihrem Bruder, hat Milada das Glück, von der Baronin aufgenommen zu werden und dort ein gutes Leben zu führen. Dort wird sie mit allem ausgestattet, was sie zum leben braucht und erhält auch, wie man später erfährt, ein bisschen Taschengeld von der Gutsfrau. Ständig fragt sie nach ihrem Bruder, wie es ihm wohl geht und ob sie ihn sehen kann, doch die Gutsfrau verweigert ihr dies, da sie der Ansicht ist, dass Pavel ein schlechter Umgang für sie wäre. Als sie mit der Kutsche ins Kloster gebracht wird, sieht sie auf dem Weg Pavel, der ihr nachruft und sofort überkommt sie das schwesterliche Empfinden und Milada lehnt sich aus dem Fenster, um mit dem Bruder, den sie schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen hat, Kontakt aufzunehmen. Doch die Baronin, die mit ihr im Wagen sitzt, billigt dies nicht und befiehlt, Pavel fortzujagen. Da Milada ein eher stilles und schweigsames Gemüt und gelernt hat, sich immer gut zu benehmen, ist dies ein ungewohntes Verhalten. Auch im Kloster lebt sie ein zurückgezogenes Leben und betet jeden Tag für die Mutter, was wiederum zeigt, dass sie der Mutter nicht böse ist, was sie getan hat, sofern sie sich überhaupt bewusst ist, was damals vorgefallen ist. Es ist Milada, die die fixe Idee hat, dass Pavel arbeiten soll um der Mutter ein Haus bauen zu können, in dem sie nach ihrer Rückkehr aus der Haft leben kann. Als Pavel sie zum ersten Mal im Kloster besucht, kann auch sie sich vor Freude nicht mehr halten und überschüttet ihn mit Fragen und freut sich einfach ihn endlich wiederzusehen. Während sie das bravste Kind im ganzen Konvent ist, muss sie von Pavel vernehmen, dass er das genaue Gegenteil von ihr ist. Sie reagiert verwundert und will gar nicht glauben, dass Pavel ein Dieb und unartiger Bursche ist. Das Mädchen kann sich zusammenreimen, wie sich wohl die Leute im Dorf ihm gegenüber verhalten und bittet ihn inständig, sich zu bessern und ein guter Junge zu werden, damit sie und die Mutter auf ihn stolz sein können. In gewisser Weise hat sie Mitleid mit ihrem Bruder, von dem sie weiß, dass es ihm nicht so geht wie ihr im Kloster und dies ist ein weiterer Grund, warum sie das Bedürfnis hat ihm zu helfen. Nachdem Pavel aufgefordert wurde, das Kloster wieder zu verlassen, weil es für ihn hier keine Arbeit gibt, beschließt Milada im Affekt, ihn zu begleiten, da sie nicht will, dass sie abermals von ihrem geliebten Bruder getrennt wird: „Da ertönte plötzlich ein durchdringender Schrei. Milada, die bisher regungslos dagestanden, ohne den Blick, ohne das ein wenig heuchlerisch zur Seite geneigte Köpfchen auch nur einmal zu erheben, rannte ihrem Bruder nach:“ Warte, ich geh mit dir!“ rief sie, […] Sie schrie, als ob sie sich mit Gewalt die Brust zersprengen wollte, […]“ (a.a.O.; S.67/68) Die zeigt deutlich, dass die erneute Trennung von Pavel sie sehr quält; jetzt, nachdem sie ihren Bruder endlich wieder hatte, werden die Geschwister ein weiteres Mal auseinandergerissen und Milada darunter leidet. Vor dieser Begegnung war sie sich gar nicht bewusst, wie sehr sie Pavel vermisst hat, doch nun wird es ihr umso schmerzlicher bewusst. Sonst war sie immer gehorsam und hat alles getan, was die Nonnen von ihr verlangten, nur diesmal treibt sie ihr Kummer so weit, dass sie sich ihnen versucht zu widersetzen. Doch schlussendlich wird sie aufgehalten und zur Ruhe gebracht und das Mädchen bleibt im Kloster und fügt sich dort ihrem Schicksal. Mit der Zeit wird sie eine vorbildliche Geistliche und alle wissen, dass sie einmal Oberin des Klosters werden wird. Doch Milada nimmt ihre Aufgaben schon beinahe zu ernst, dass sie immer aufgrund ihrer ständigen Fastenübungen und schweren Arbeit immer mehr abmagert. Aber sie selbst ist sich dessen gar nicht so bewusst und versucht Pavel, der diese Tatsache bei seinem zweiten Besuch bemerkt, zu beschwichtigen und ihm zu zeigen, dass es ihr gut geht und ihr die schwere Arbeit nichts ausmacht. Leider behält Pavel Recht und schon bald erkrankt das Mädchen ernsthaft. Gerne hätte Milada ihren Bruder noch einmal gesehen, doch dieser Wunsch wird ihr nicht gewährt und sie ereilt der Tod noch ehe der Junge eintreffen kann.
Lehrer Habrecht:
Er ist der Einzige, der Vertrauen in Pavel hat und sich seine annimmt. Auch wenn es manchmal so scheint, als wäre auch er der gleichen Ansicht in Bezug auf den Buben, wie der Rest der Dorfbewohner, meint er es im Grunde nur gut mit ihm und will ihn auf den rechten Weg bringen, von dem Pavel in seinen Augen definitiv abgekommen ist. Als er Pavel wegen seines Entführungsversuches von Milada bestrafen muss, tut er auch das nicht besonders gern. Habrecht sieht nur das Gute in den Menschen, was definitiv eine seiner stärksten Charaktereigenschaften ist. Doch der Bub macht es ihm nicht leicht ihn zu mögen und ihn nicht als Dieb zu sehen. Um seinen guten Willen zu zeigen schenkt er ihm ein Paar Stiefel unter der Bedingung, dass Pavel 8 Tage hintereinander die Schule besucht. Es freut ihn zu sehen, wie sehr sich Pavel anstrengt und bemüht, dieses Geschenk zu erwerben. Mit der Zeit freunden sich die beiden an und der Lehrer unterstützt seinen Schützling wo immer er kann. Als Pavel von einigen Burschen verfolgt wird, die es auf seinen Geldbeutel abgesehen haben, findet er bei Habrecht Unterschlupf, der nicht nur die Verfolger vertreibt, sondern auch noch das Geld bei sich versteckt, um Pavel nicht noch einmal in solch eine Situation zu bringen. So erlangt er nach und nach das Vertrauen des Jungen und wird seine erste richtige und einzige Bezugsperson. Pavel will bei Habrecht gegen Unterkunft und Essen arbeiten und der Lehrer ist froh, das zu hören, denn dies bedeutet, dass Pavel vorhat, sich zu bessern.
Auch beim Bau des Hauses greift ihm Habrecht unter die Arme und ist immer da, wenn der Bursche Hilfe braucht; auf ihn ist immer Verlass.
Er ist auch der Einzige, der noch zu ihm hält, als Pavel als Giftmischer angeklagt wir. Habrecht weiß, dass Pavel unmöglich schuldig sein kann und verlangt eine Untersuchung der Leiche, ob der Bürgermeister wirklich durch Gift gestorben ist.
Als er jedoch von seiner Versetzung erfährt, weiß er sofort, dass Pavel diese nicht gut aufnehmen wird und erzählt ihm vorsichtshalber noch nichts davon, da er dessen Gesichtsausdruck nicht ertragen könnte. Doch Pavel erfährt trotzdem davon und der Lehrer reist ab ohne sich von ihm zu verabschieden. Er handelt sicher nicht nur im Interesse des Burschen auf diese Weise, sondern auch, um sich selbst nicht diesem wahrscheinlich qualvollen Abschied auszusetzen. In dieser Hinsicht ist seine Tat nicht so selbstlos wie sie vielleicht scheint. Trotzdem hat er schlechtes Gewissen, Pavel so ganz ohne Nachricht zu verlassen und ist sich auch dessen bewusst, dass er nun keine Ansprechperson mehr haben wird, deshalb versucht er auch, den neuen Lehrer auf Pavels Situation aufmerksam zu machen: „Man muss ihn in Schutz nehmen gegen die Dummheit und Bosheit. Ich hab’s getan, tun Sie es auch; versprechen Sie mir das.“ (a.a.O.; S.126)
Erst nach Jahren kommt er zurück um Pavel zu besuchen und trifft ihn zufällig auf seinem Weg ins Dorf. Mittlerweile ist Habrecht Apostel geworden und freut sich, als Pavel ihm erzählt, dass es ihm nun im Dorf besser geht. Als die erneute Abreise naht, versucht Habrecht sie so weit wie möglich hinauszuzögern, da er das Gespräch mit Pavel sichtlich genossen hat und der Bub ihm sehr ans Herz gewachsen ist.
Problematik:
Im Gemeindekind zeigt die Autorin unter anderem, wie bedeutend die Erziehung in der Entwicklung eines Menschen ist. Pavel und Milada haben bei ihren Eltern keine glückliche Kindheit genossen. Von Anfang an sind sie zur schweren Arbeit herangezogen und von ihrem Vater verprügelt worden und haben auch keinerlei religiöse Erziehung genossen. Die Erziehung bei den beiden Kindern bleibt daher nahezu ganz aus. Die Eltern kümmern sich kaum um sie und die Geschwister sind nahezu auf sich selbst angewiesen. Schon früh müssen die beiden einsehen, dass sie wohl von ihren Eltern nie Liebe erfahren werden. Trotzdem kann sich Milada eine gewisse Freude am Leben bewahren. Pavel hingegen bleibt ein wortkarger, phlegmatischer Junge, den nur sein Lebenserhaltungstrieb weiter leben lässt. Nachdem die Geschwister getrennt worden sind, widerfährt ihnen ein sehr unterschiedliches Schicksal. Milada wird in ein Kloster geschickt, um dort zu einer Nonne erzogen zu werden. Milada unterwirft sich gern den Regeln der Nonnen, sie ist das bravste Mädchen im Kloster und verbringt den Tag damit, Buße zu tun für die Schandtat ihrer Eltern.
Pavel hingegen wird der Gemeinde überlassen und lebt bei einer Hirtenfamilie. Bei ihnen wird Pavel nicht als gleichwertiges Familienmitglied angesehen, sondern eigentlich nur für die Arbeit eingesetzt, worin eigentlich kaum ein Unterschied zu seinem bisherigen Leben besteht, da er auch in dieser Familie nur als Arbeitskraft angesehen wird. Sogar der Schulbesuch wird ihm verwehrt. Pavels Eltern haben bei der Erziehung ihres Sohnes schon versagt und die Hirtenfamilie scheint ihm auch nicht die Aufmerksamkeit entgegen bringen zu wollen, die Pavel gebraucht hätte. Doch Pavel stört dies alles nicht, er genießt seine Rolle als Dieb, Prügelknabe und Sündenbock für alles, da er es auch nicht anders gewohnt ist. Vielleicht tut er dies alles nur, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhaschen. Eine Veränderung in seinem Verhalten scheint sich erst anzubahnen, als er seine Schwerster, die einen großen Einfluss auf ihn hat, wiedersieht und im Lehrer Habrecht findet Pavel erstmals eine Vertrauensperson, die einen Elternteil für ihn ersetzt. Habrecht ist die einzige Person außer Milada, die genug Einfluss auf Pavel hat, um ihm seine Vorstellungen und Werte zu vermitteln. An dieser Stelle merkt der Leser, dass sich ein junger, von seiner Umwelt schon aufgegebener Mensch noch ändern kann, wenn sich ein anderer Mensch findet, der ihm genug Aufmerksamkeit entgegenbringt. Habrecht hilft Pavel bei dem Versuch, sich in die ihn abweisende Gesellschaft einzugliedern. Vor Habrecht hat Pavel Respekt und er nimmt dessen Rat, auf seinen Ruf zu achten, an. Durch die verspäteten aber doch wirksamen erzieherischen Maßnahmen des Lehrers hat es Pavel geschafft, sich in die Gemeinschaft des Dorfes einzugliedern. Pavel, den alle Welt für einen geborenen Kriminellen gehalten hat, weil er nach seiner Herkunft gar nichts anderes habe sein können, und der auch in seiner früheren Verbitterung immer neue Belege für dieses Vorurteil gegeben zu haben scheint, ist zu einem ordentlichen, sittlich hochstehender Mensch geworden. Dadurch erkennt man ein weiteres Mal, wie wichtig die richtige Erziehung für Kinder ist. In Pavels Fall kam diese zwar erst recht spät, aber immer noch rechtzeitig, um aus ihm einen anständigen Menschen zu machen.
Weiters übt die Autorin scharfe Kritik an der Gesellschaft zu dieser Zeit. Die Leute aus dem Dorf empfinden Pavel eher als eine Last und es findet sich auch niemand, der sich seiner annehmen und ihn bei sich aufnehmen würde. Erst, als eine Entlohnung angeboten wird, meldet sich die Familie des Hirten Virgil. Doch auch dort wird der Junge nicht anständig behandelt, da sie ihn nur des Geldes wegen und nicht von sich aus bei sich wohnen lassen. Ebner-Eschenbach beschuldigt die Gesellschaft egoistisch und eigennützig zu sein und sich nie für andere aus eigener Kraft einzusetzen, da sie viel zu bequem sind, auch nur einen Handgriff zu viel zu tun, und schon gar nicht für die Bedürftigen, was man Pavels Worten mehr als nur deutlich entnehmen kann: „Was ich verdiene, nimmt der Virgil und versauft’s, und ich muss auch seine ganze Arbeit tun und bekomme nichts … Die Gemeinde sollte mir Kleider geben und gibt mir nichts … und wenn die Virgilova hingeht und sagt: Der Bub hat kein Hemd, der Bub hat keine Jacke, sagen sie: Und wir haben kein Geld … aber wenn sie auf die Jagd gehen wollen und ins Wirtshaus, dann haben sie immer Geld genug…“ (a.a.O.; S. 66)
Eine weitere prägnante Stelle, die den Egoismus der Leute darstellt, ist die, in der Pavel die Maschine repariert, und der Schmied das ganze Lob dafür für sich einstreicht und mit keinem Wort den Burschen erwähnt, dem sie dies eigentlich zu verdanken haben.
Pavel wird im Grunde von beinahe allen nur schlecht behandelt, doch die Dorfbewohner denken trotzdem, dass er sein Leben nur ihnen, die ihn aufgenommen haben, zu verdanken hat. Sie halten sich selbst für großzügig und gerecht, doch in Wahrheit sind sie das genaue Gegenteil. Sie versuchen nicht einmal Interesse zu heucheln und doch sehen sich die Leute als perfekt und fehlerlos. Sie sind auch noch der Meinung, dass Pavel ihnen für ihre Taten dankbar sein sollte, anstatt sich dermaßen schlecht zu benehmen und sie zu beschimpfen. Doch in Pavels Worten spiegelt sich genau diese Doppelmoral der Dorfbewohner wider: „ Undankbar? Und was verdank ich euch? Für den Bettel, den ihr zu meinem Unterhalt hergegeben, hab ich mit meiner Arbeit tausendfach bezahlt. Den Unterricht in der Schul hat mir der Lehrer umsonst erteil. Keine Hose, kein Hemd, keinen Schuh hab ich von euch bekommen. Den Grund, auf dem mein Haus steht, habt ihr mir doppelt so teuer verkauft, als er wert ist. Wie der Bürgermeister gestorben ist, habt ihr mir die Schuld gegeben an seinem Tod […] Jetzt rette ich dem Peter sein Leben, und weil ich dabei dem Wirt seinen Zaun umgerissen hab, muss ich den Zaun bezahlen.“ (a.a.O.; S. 149). Jegliche Schuld wurde immer Pavel in die Schuhe geschoben, der für alle schlimmen Taten, die er nicht begangen hatte, den Kopf hinhalten musste. Zwei Mal hat er Glück in seinem Leben, doch auch dies wird ihm geneidet und die Leute versuchen, ihm das schlecht zu machen. Seine neuen Stiefel werden von Vinska gestohlen und Eifersucht plagt die Dorfbewohner, als sie sehen, dass Pavel ein Grundstück von der Baronin geschenkt bekommen hat. Niemand gönnte ihm dieses Glück und alles, was er darauf anpflanzte wurde von Unbekannten aus Eifersucht wieder mutwillig zunichte gemacht. Doch schlussendlich schaffen es die Leute, über Pavels Vergangenheit und die Tat seiner Eltern hinwegzusehen und akzeptieren ihn als vollständiges Mitglied der Gemeinde.
Form und Sprache:
Das Werk „Das Gemeindekind“ von Marie von Ebner-Eschenbach ist in 19 Kapitel aufgeteilt und zählt als Roman zur Gattung der Epik. Charakteristisch für diese Dichtungsart sind beispielsweise das Vorkommen mehrer Handlungsstränge, in diesem Roman die beiden unterschiedlich geführten Leben der Geschwister Holub, wobei Pavel trotzdem im Vordergrund der Geschichte steht. Der Roman ist durchgehend in Prosa verfasst und auch die Hochsprache herrscht hier vor. Nur gelegentlich, beispielsweise, wenn sich die Leute aus der Unterschicht unterhalten, wird von der Autorin ein eher umgangssprachlicher Ton angewandt.
Die Sprache im Naturalismus ist ein direktes Abbild der realen Dialekte und Mundarten. Durch sie werden Personen charakterisiert und ihre Stellung in der Gesellschaft verdeutlicht. Im Gegensatz zu den klassischen Textformen, in denen der Pferdeknecht genau so sprach wie der Adlige, werden die gesellschaftlichen Abstufungen hier durch den unterschiedlichen Sprachgebrauch hervorgehoben oder erst sichtbar.
Epoche:
Es ist schwer diesen Roman eindeutig einer Literaturepoche zuzuordnen, da er sowohl Merkmale des Spätrealismus, als auch einige Kennzeichen des Naturalismus aufweist. Vom Thema her zu schließen würde man „das Gemeindekind“ eher als ein naturalistisches Werk bezeichnen, da die sozialen Missstände vor allem in dieser Literaturepoche eine wichtige Problemstellung war.
Der Naturalismus (ca. 1880 – 1900) ist mit dem Realismus verwandt, da beide dieselben geistigen und sozialen Wurzeln haben, doch die Naturalisten versuchten, die Grundideen der Realisten konsequent zu Ende zudenken und empfanden sich darum als radikaler. Eine genaue Darstellung der Wirklichkeit spielt im Naturalismus eine bedeutende Rolle.
Dabei wird versucht mit exakten naturwissenschaftlichen Methoden zu arbeiten, um so zu einer umfassenden Erkenntnis zu gelangen. In der Literatur zeichnet sich die Richtung durch den Sekundenstil aus. Der Sekundenstil ist die Bezeichnung für die Technik in einer Dichtung im Naturalismus, deren Ziel die volle Deckungsgleichheit von erzählter Zeit und Erzählzeit war. Jedes noch so banale Detail wird geradezu protokollarisch festgehalten, um beispielsweise dem natürlichen Sprechen möglichst nahezukommen. Dadurch soll mehr vom Milieu gezeigt werden und es wird versucht mehr zu vermitteln als über Raumbeschreibungen.
Die Handlungen der naturalistischen Romane/Erzählungen und Dramen spielen häufig in Unterschichtenmilieus. Die Naturalisten interessierten sich demnach für diejenigen Bereiche, in denen die Determiniertheit ihrer Meinung nach am besten zum Ausdruck kam und die in der bürgerlichen Doppelmoral und Gleichgültigkeit verdrängt wurden: die soziale Frage, die Zerrüttung von Familie und Ehe, die Exzesse der Großstadt, Alkoholismus, Geisteskrankheit, Kriminalität, Prostitution. Sie schauten auch dem „Volk aufs Maul“ und verwendeten den sonst verpönten Dialekt und seine Ausdrücke. Ab der Jahrhundertwende verlor der Naturalismus an Stärke, aber seine neuen sozialen Themen, die Präzisierung der beschreibenden Darstellungsmittel und die Verwendung der Umgangssprache, prägten danach die gesamte Entwicklung der Literatur.
Die soziale Thematik, die Darstellung sozialer Not äußert sich weniger als sozialpolitischer Kampf mit parteipolitischer Bindung, sondern eher als eine Art soziales Mitgefühl am Beispiel gesellschaftlicher Außenseiter im Geflecht von Großstadt (Anonymität, Entindividualisierung) oder moderner Technik.
Bedeutende Vertreter dieser Literaturepoche sind im deutschsprachigen Raum beispielsweise Gerhart Hauptmann (Vor Sonnenaufgang, Bahnwärter Thiel), Arno Holz und Johannes Schlaf. In Frankreich ist Emile Zola für seine naturalistischen Werke bekannt.
Mit Realismus wird in der Literaturgeschichte eine literarische Strömung im 19. Jahrhundert bezeichnet. Als Zeitspanne wird ungefähr 1830 – 1890angegeben. Die Periode der deutschen Literaturgeschichte zwischen 1850 und 1890 wird häufig auch „bürgerlicher Realismus“ oder „poetischer Realismus“ genannt.
Der Realismus will die fassbare Welt objektiv beobachten und schildern. Sein Programm ist es, sowohl die Natur als auch die Handlungen der Charaktere ohne künstliche und künstlerische Verzerrung darzustellen. Persönliche Standpunkte werden vermieden. Um größtmögliche Objektivität zu erreichen, bedient sich der Autor der Mimesis (griech: Nachahmung (der Wirklichkeit)).
Neben vielen anderen Problemen wird auch der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft wird thematisiert. Für die Realisten steht nicht die Masse der Gesellschaft im Vordergrund, sondern die Persönlichkeit. Dieser psychologische Realismus legt besonderen Wert auf die Beschreibung des Innenlebens der Figuren.
Wichtige Vertreter wären in dieser Epoche neben deutschsprachigen Schriftstellern wie Theodor Fontane und Gottfried Keller, auch berühmte Franzosen wie beispielsweise Honoré de Balzac, Guy de Maupassant und Stendhal, und die russischen Autoren Dostojewski, Tolstoi und Tschechow.
(Quelle: www.wikipedia.org)
Wirkung auf den Leser:
In diesem äußerst realistisch dargestellten Roman Marie von Ebner-Eschenbachs kann man sich sehr gut in die Situation des Jungen Pavel Holub einfühlen, der ein Ausgestoßener der Gesellschaft wird, nur, weil seine Eltern einen Fehler begangen haben.
Es ist unvorstellbar, dass ein unschuldiges Kind aufgrund seiner Eltern, die es sich nun mal nicht aussuchen kann, dermaßen schlecht behandelt wird. „Wieso müssen immer die Kinder für die Taten ihrer Eltern zur Rechenschaft gezogen werden und dafür Verantwortung übernehmen?“ – diese Frage stellt sich der Leser die ganzen 200 Seiten lang, die das Buch umfasst. Von Mitleid erfüllt hat man den starken Drang, dem Jungen zu helfen und dieses Gefühl lässt erst nach dem Einschreiten des Lehrers Habrecht nach, der sich ihm annimmt. Man kann gar nicht glauben, dass eine Gemeinde so herzlos und eigennützig sein kann.