Autor:
Walser, der als sehr „bodenständiger“ und heimatverbundener Mensch gesehen wird, wurde
am 27.März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren und ist auch dort aufgewachsen, 1984 wurde er zum Ehrenbürger ernannt. Ab 1957 wohnt er wieder direkt am Bodensee, erst in Friedrichshafen, seit 1968 wied in Überlingen-Nußdorf.
Sein Vater hatte eine Gastwirtschaft, die der Sohn übernehmen sollte, weshalb auch nicht Lehrer werden durfte.
Walser beschäftigte sich heimlich mit Literatur und Philosophie.
1946 schloß Walser seine Schulausbildung mit dem Abitur ab.
Nachdem er zuerst einige Semester an der Theologisch-Philosophischen Hochschule in Regensburg studiert hat, weil er keinen normalen Studienplatz bekommen konnte, studierte er in Tübingen weiter, wo er die Fachrichtungen Psychologie, Anglistik, Geschichte und Philosophie belegte, allerdings nur Geschichte und Philosophie zu Ende führte. Dort spielte er viel Theater und verfasste auch Prosa-Skizzen, von denen er einige verkaufte.
Später promoviert er mit einer Arbeit über Kafka wofür er sich einige Monate Urlaub von seiner Arbeit beim Süddeutschen Rundfunk nahm.
Mit seiner Frau Katharina Neuner-Jehle die er 1950 geheiratet hat, hat er die Töchter Theresia, Johanna und Franziska, die heute Schauspielerin ist.
Walser erhält im Laufe seines Lebens zahlreiche Preise und Auszeichnungen für seine Werke.
Der Roman „Halbzeit“ ; der erste Teil der Anselm-Kristlein-Trilogie
Die Anselm-Kristlein-Trilogie, zu der auch „Das Einhorn“ ( 1966 ) und „Der Sturz“ (1973 )gehören, ist eigentlich als Gesamtheit zu betrachten.
Zunächst jedoch entstand Halbzeit als einzelnes, eigenständiges Werk.
Als Martin Walser Ende 1958 nach seinem ersten U.S.A. Aufenthalt nach Westdeutschland zurückgekehrt war, schrieb er ein sehr langes und kompliziertes Buch in dem er auch sein Unbehagen nach Deutschland zurückkehren zu müssen ausdrückte.
„Halbzeit“ erschien 1960 und wurde mit seinen ungefähr 900 Seiten zu einem der umfangreichsten und umstrittensten Werke der Nachkriegszeit.
Obwohl Walsers Ärger nach Deutschland zurückkehren zu müssen und seine U.S.A Erlebnisse ein Entstehungsgrund gewesen sein mögen, muß es als ein Werk gesehen werden, das sich auf einen viel größeren Bereich von Walsers Leben bezieht.
In „Halbzeit“ schrieb der Autor die vergangenen 50 Jahre seines Lebens und alle seine Erfahrungen, die er- hauptsächlich in Stuttgart- gemacht hat, nieder.
In seinem Roman verwendet Walser einige bekannte Grundzüge und fügt diese zu einem beeindruckendem Ganzen zusammen das ein umfassendes Bild sozialer Zusammenhänge und auch Mißstände bietet.
Dabei ist es allerdings in Teilen sehr ausführlich, was zu sehr verschiedenen Urteilen über das Werk führt, da der Autor ohne Zweifel sprachgewaltig beschreibt und die Sprache auch sehr abwechslungsreich gestaltet wird, aber durch die in Teilen langgezogene Handlung auch leblos und langatmig wird.
Zum Inhalt:
Der Roman beginnt mit den Überlegungen des noch halb schlafenden Ich- Erzählers Anselm Kristlein zu seinem bevorstehenden Aufwachen in dem mit „ Mimikry “ überschriebenen ersten Kapitel. Erst am Vorabend nach einem längeren Krankenhausaufenthalt wieder nach Hause gekommen, scheint der Genesende nicht ganz sicher zu sein, daß er das Tageslicht und alles, was damit zusammenhängt, wieder erblicken will. Durch seine kleinen Kinder aus diesem halbschlafenden, halbwachenden Zustand herausgerissen, ergibt er sich aber endlich als, „ein Gefangener der Sonne für einen weiteren Tag“ ( S.11 ). Daß dieser auch wortwörtlich ein „weiterer“ Tag wird , bezeugt die Tatsache, daß die ersten 375 Seiten, der Erste Teil vom Roman mit seinen drei Kapiteln also, diesen einen Tag, den 18.Juni 1957, behandeln. Kristlein, der verheiratet ist, drei Kinder hat und früher sein Studium der Philologie aufgegeben hat, wurde dann Handlungsreisender. Inzwischen ist aber zum Vertreter aufgestiegen.
Diese Entwicklung in seinem Leben ist wichtig aus verschiedenen Gründen: Kristlein wird durch den ganzen Roman von seinem zweiten “ich“ begleitet, dem in seiner Phantasie und vielen Selbstgesprächen auftauchenden Wissenschaftler Galileo Cleverlein; als Handlungsreisender und Vertreter arbeitet Anselm am Deutschen Wirtschaftswunder und der sich schnell wiederaufbauenden kapitalistischen Gesellschaft mit; und als Philologe und Verkäufer, Vertreter, Werbetexter und schließlich Erzähler ist Kristlein einer, der über eine enorme Sprachfähigkeit verfügt.
Nachdem er an diesem Tag aufgestanden ist, flieht Amselm so schnell wie möglich vor seiner Frau Alissa, seiner Familie und allen Erwartungen und Verpflichtungen, die von ihm als Ehemann und Vater entgegengebracht werden. Er kommt zwar am Abend sehr kurz nach Hause, aber nur um gleich darauf wieder auszugehen; worüber seine Frau sehr enttäuscht ist. Er verbringt dann den ganzen Tag und Abend außerhalb: im Büro , bei Liebhaberinnen, auf der Straße, in Cafés und Bars, bei Freunden, beim Friseur, bei der Mutter. Kristleins Erzählung von diesem Tag besteht größtenteils aus sehr detaillierten Beobachtungen und Beschreibungen des Treibens der Menschen in seinem Freundes- und Bekanntenkreis, dazu kommen Überlegungen zu seiner Wirklichkeit und seinen Träumen und Phantasien, sowie Rückblenden in die Vergangenheit.
Die weiteren zwei Teile des Romans, mit je zwei Kapiteln, erstrecken sich über weitere fünfhundert Seiten, durch die man das Leben Anselms und sämtlicher Romanpersonen fast ein Jahr verfolgen kann. Dabei wird dem Leser das Treiben einer aufsteigenden oder bereits aufgestiegenen bürgerlichen Gesellschaftsschicht in einer mittelgroßen Stadt der 50er Jahre nahegebracht.
Kristlein erlernt den Beruf des Werbetexters, leitet eine erfolgreiche Werbekampagne und wird, wegen seines Erfolgs, von der Firma zu einem mehrwöchigen Seminar in die USA gesandt.
Im zweiten Teil des Romans begleitet man Kristlein auch in seinem privaten und gesellschaftlichen Leben weiter; zum Beispiel bei verschiedenen Parties, die helfen sollen die Sichtweise Kristleins der Wirklichkeit dem Leser zu vermitteln ; oder bei seinem Versuch , die ehemalige Verlobte seines Freundes Josef-Heinrich als Liebhaberin für sich zu gewinnen.
Egal wo, im Berufsleben, bei Gesellschaften oder im privaten Bereich, wird das Leben als Konkurrenzkampf dargestellt. Eine Zeitlang scheint Anselm den Kampf zu bestehen, als er durch seine Begabung als Erzähler und durch seine Schlagfertigkeit einige glänzende Auftritte hat. Wie abzusehen war dauert sein Erfolg aber nicht lange. Seine in den U.S.A. gewonnenen Erkenntnisse, daß Werbung wichtiger ist als Produkt, Aufmachung bedeutender als Inhalt ist, bezieht er aufs gesamte Leben. Diese Erkenntnis läßt ihn alles überdenken.
Der Kreis der Handlung schließt sich für Kristlein: Als er sich am Morgen des 21. März 1958 wieder zu Hause im Bett befindet, wo er nach einer zweiten schweren Operation, umringt von seinen Kindern und seiner Frau Alissa, erholt. Nur langsam und etwas wiederwillig aufwachend, ergiebt er sich „dem Leben“ ein zweites Mal.
Die auffälligsten Merkmale dieses Werkes gleichen denen anderer Werke von Martin Walser.
So beschreibt er auch in „Halbzeit“ die Gesellschaft und ihre Schwächen.
Es scheint, daß Kristlein ein aufstrebender Mensch in der Zeit des „Wirtschaftswunders“ ist, in Wirklichkeit ist er allerdings sehr nachdenklich und sein äußerliches Aufstreben stimmt nicht mit seinen eigenen Gefühlen überein.
Außerdem ist auch das Verlangen vor den sozialen und gesellschaftlichen Zwängen wegzulaufen wieder erwähnt. Ebenfalls sehr häufig bei Walsers Werken ist die auffällig geschlossene Handlung, da die Werke mit fast der gleichen Szene enden mit der sie begonnen haben.
Auch die parallelen die sich zu Martin Walsers eigenem Lebenslauf herstellen lassen sind auffällig.
Größtenteils besteht „Halbzeit“ aus gesellschaftskritischen Aussagen die wahrscheinlich die eigenen Erlebnisse und Ansichten des Autor wiedergeben.
Grundlage:
Sammlung Metzler; Gerald A. Fetz; „Martin Walser“