Das Buch handelt von den ehemaligen Schülern einer Heimklasse, die vor 25 Jahren einen ihrer Klassenkameraden krankenhausreif geschlagen haben. Einer dieser Schüler wird im Laufe des Buches von einer anderen Person über diese Tat ausgefragt, Details werden nach und nach aufgedeckt und am erst ganz am Ende erfährt man die einzelnen Anlässe und den Ablauf dieser Tat genau. Die Person, die „verhört“ wird, hatte vor der Befragung jeden seiner ehemaligen Mitschüler besucht und mit ihm über diese Tat gesprochen, und auch die Antworten dieser Menschen fließen nicht unwesentlich in die Geschichte ein.
Die Geschichte beginnt sofort mit dem „Interview“. Es handelt sich dabei um ein Frage- und Antwortspiel, ich dem man aber nichts über die beiden Gesprächspartner erfährt, außer, dass einer der beiden ehemaliger Schüler eben jener Klasse ist. Die beiden kennen sich anscheinend, es wird geduzt. Man wird sofort in das Geschehen hineingezogen, schon nach den ersten Sätzen weiß man, worum es geht. Schnell wird klar, dass sich die Geschichte in einem katholischen Kapuziner-Heim ereignete und wie die Umstände dort waren.
Der Präfekt des Heimes, also der Erzieher der Schüler, spielt eine wichtige Rolle. Man erfährt, dass dieser wohl ein sehr launischer Mensch ist, er führt Wortgefechte, inszeniert seltsame Spiele und organisiert Zeremonien mit den Schülern, und entscheidet dann willkürlich über deren Schicksal. Auch der Umgang unter den Schülern wird schnell deutlich, die Erst- und Zweitklässler werden von den Schüler der höheren Klassen herumkommandiert und ausgenutzt, in den Klassen selbst halten einerseits alle einigermaßen zusammen und versuchen zumindest eine Gemeinschaft zu bilden, doch oft wird sehr egoistisch und „vorteilsgeil“ gehandelt. Oft entscheidet die Leistung des einzelnen über das Schicksal der gesamten Klasse, weswegen ein im ganzen Buch spürbarer Druck auf den Schülern lastet.
Schon bald kennt man jeden der Schüler genauer, es sind acht. Ferdi Turner, den Klassenclown; Franz Brandl der starke, eher ruhige; Manfred Fritsch, der eifrige Klassensprecher; Oliver Starche „der Deutsche“; Alfred Lässer „das Engelchen“; Edwin Tiefentaler „der Möchtegern-Bürgermeister“; den Hauptprotagonisten, dessen Namen man nie erfährt und das spätere Opfer der Prügel: Gebhard Malin. Die einzelnen Episoden werden zwar nicht der chronologischen Reihenfolge erzählt, doch man bekommt meiner Meinung nach sehr schnell einen sehr guten Eindruck von den Charakteren. Jeder der Schüler hat seine Eigenheiten, doch jedem merkt man den Einfluss der strengen Heimleitung schnell an.
Ein jeder besitzt seine Rolle und jeder eine gewisse Stellung in der Klasse, die ihm je nachdem Vor- oder Nachteile beschafft. Die Heimleitung, das sind der gefürchtete Präfekt, der inkonsequente und trinkende Rektor und der gütige Spiritual, legt besonders viel Wert auf die Leistungen der Schüler in Latein, Griechisch und Mathematik. Die Fächer werden nicht im Heim, sondern in der nahen Schule unterrichtet, doch auch im Heim wird gelernt und geprüft.
Der Befragte erzählt nach und nach mehrere Episoden aus dem Leben im Heim, aus denen sich allmählich ein Bild zusammenfügt. Immer wieder werden die so genannten „Klassenprügel“ an Gebhard Malin erwähnt, doch es wird immer nur darauf „hinerzählt“. An manchen Stellen im Buch langweilt man sich dann aber doch, da der „Interviewer“ immer wieder Fragen stellt, die meiner Meinung nach uninteressante Details preisgeben, die dann aber ausführlich behandelt werden.
Manchmal hat man auch das Gefühl, das die Fragen zu sehr „aufgelegt“ worden sind, als wüsste der Interviewer die Antworten schon längst und würde immer nur einen fragenden Einwurf machen, um den Befragten kurz zu unterbrechen. Es entsteht dadurch ab und zu der Eindruck einer durchgehend geschriebenen Geschichte, in die kurze Fragen eingefügt wurden, um sie nicht wie so eine wirken zu lassen. An manchen Stellen werden einfach viel zu „logische“ Fragen gestellt, die perfekt im Einklang mit dem stehen, was der Befragte sowieso gerade ansprechen wollte.
Natürlich ist auch manchmal das komplette Gegenteil der Fall, es wird aufgefordert von einem Thema zu sprechen, dass im Moment komplett unpassend und aus der Luft gegriffen erscheint. Dadurch enthält das Buch auch viele, viele Handlungsfäden und reichlich Zeit- und Handlungssprünge, die dann aber durch oben genannte, „vorhersehbare“ Fragen wieder sehr geschickt verknüpft werden.
Während der Erzählung entsteht manchmal das Gefühl, dass alle ehemaligen Heimschüler noch nicht richtig erwachsen geworden sind. Die Dialoge sowohl im Heim als auch bei den Treffen zwanzig Jahre danach sind manchmal merkwürdig banal, manchmal aber auch sehr nachdenklich und tiefgründig, doch auch das auf eine „kindische“ Art. Das Verhalten der Figuren lässt sich zwar nachvollziehen, aber trotzdem wundert man sich oft, wie es jetzt zu dieser Aussage kommt. Auch verschiedene Situationen wirken äußerst seltsam, wie zum Beispiel das Werben der drei Männer um Alfred Lässers Frau und die anschließende Übernachtung im Hotel oder die Handlungen des Hauptprotagonisten vor und nach den Besuchen. Das alles kann man vielleicht auf die Heimvergangenheit der Protagonisten zurückführen, komisch erscheint es trotzdem.
Weiters hat mich das unglaubliche Gedächtnis des Hauptcharakters sehr erstaunt. Wie man sich nach fünfundzwanzig Jahren noch Konversationen und Situationen so genau merken kann, ist mir unbegreiflich. Ich verstehe natürlich, dass das eine Notwendigkeit ist, damit die Geschichte in dem Stil erzählt werden kann, doch leider geht dabei der Realismus verloren.
Ziemlich schnell ist klar, dass die Geschichte in Österreich stattfand/stattfindet, doch trotzdem wird das Wort „Österreich“ kein einziges Mal auf 571 Seiten erwähnt. Vor allem die Namensnennung mit Artikel davor ist sehr authentisch, z.B.: der Gebhard Malin.
Im gesamten Buch springt die Handlung bis zum Schluss immer zwischen der Zeit im Heim und den Treffen der jetzt erwachsenen Männer hin und her. Man glaubt schon nach den ersten hundert Seiten, dass man jetzt so ziemlich jedes Detail über die verschiedenen Personen und deren Handeln kennt, doch immer wieder wird man mit Episoden überrascht, die wieder neue Dinge klar werden lassen und Zusammenhänge schaffen. Manchmal wird für das Empfinden des Lesers viel zu lange auf einem Detail herumgeritten, doch nach einiger Zeit, manchmal auch erst ganz am Ende des Buches merkt man, dass dies nötig war, um das weitere Geschehen zu erzählen. Manchmal wirkt aber eben genau dieses, wie schon oben erwähnt, seltsam „unrealistisch“ und „aufgelegt“.
An anderen Stellen wiederum schafft Köhlmeier eine perfekte, realistische, nachvollziehbare Fügung.
Interessant sind auch die Gedanken und Philosophien des Erzählers, was er über gewisse Dinge denkt oder was er sich dazu ausgedacht hat. Es werden sehr interessante, aber manchmal auch oft komplizierte Weltanschauungen präsentiert, vor allem gegen Ende hin. Die Gedanken über „wilde Hunde“, über das „Kauen auf Nichts“ und auch über Gott sind sehr ungewöhnlich und haben mir neue Möglichkeiten gegeben über gewisse Dinge und Menschen zu denken. Wie aber auch schon die Dialoge sind diese immer ein wenig „kindhaft“ und naiv.
Je weiter man liest, desto mehr erfährt man über die Beziehungen zwischen den verschieden Charakteren, vor allem durch die vom Befragten wiedergegebene Aussagen der anderen Mitschüler. Die Freundschaft zwischen Gebhard Malin und Oliver Starche, die späteren Details zur Geschichte mit Veronika Tobler und weitere Details über den geheimnisvollen Csepella Arpad, all das macht die Geschichte vor allem gegen Ende hin sehr komplex und lässt einen die verschiedenen Verhaltensweisen besser verstehen. Es gibt sehr viele Nebenhandlungen, die dann aber auch wieder in den Hauptpunkt, die Prügel, einfließen. Die ganze Geschichte arbeitet aber auf die letzten Anlässe und den genauen Ablauf der Prügelei hin, die erst im letzten Kapitel auf den letzten Seiten beschrieben wird, wenn der Leser schon alles über die Hintergründe und auch über die danach folgenden Geschehnisse weiß.
Die vielen, vielen sehr verstrickten und in einer unbestimmten Reihenfolge erzählten Handlungsfäden treffen in dieser letzten Beschreibung der Prügelei aufeinander, werden zu einem Strang und lösen sich schließlich auf. Erst ganz am Ende ist das Gesamtbild fertig, obwohl man schon vorher auf fast 600 Seiten genaueste Details über sämtlich Protagonisten gelesen hat. Die ganze Erzählung dreht sich nur um diesen einen Punkt, den Mittelpunkt, den die Prügelei darstellt und erst am Ende versteht man, warum gewisse Details unerlässlich waren.
Der Schlusssatz gibt auch endlich den ersten und einzigen Hinweis auf die Identität des Interviewers, nämlich die Aussage: „Ich will sehen, was sich machen lässt“. Natürlich ist auch hier viel Raum für Interpretation übrig, handelt es sich jetzt um einen Polizeibeamten, einen Psychiater oder einen Freund. Mit dem letzten Kapitel des Buches versteht man, warum man sich die Mühe gemacht hat, hunderte von Seiten lang genauste Details aus den Leben verschiedener Menschen zu lesen und das Frage- und Antwortspiel zweier Personen mitzuverfolgen, deren Identität man nicht kennt.
Im großen und ganzen ein sehr, sehr interessantes Buch, das zwar erst am Ende Aufschluss über alles gibt und dadurch manchmal sehr anstrengend zu lesen sein kann, doch einen, nach dem man es zugeklappt hat, sehr erstaunt und nachdenklich zurücklässt. Es zeigt das Verhalten von Menschen, die sich schon sehr lange schuldig fühlen, doch auch Vergessen, Verdrängen, Freundschaft, Liebe, Angst, Druck und Gruppenzwang spielen eine wichtige Rolle. Zwischendurch wird oft die Spannung vermisst und man hat immer wieder das Gefühl, man liest vieles umsonst, doch das Ende löst diese Gefühl auf und lässt einen verstehen, warum man die ganze Zeit auf eine klärende Pointe gehofft hat.
Und man wird nicht enttäuscht.