Quellen: Internet
1.) Leben und Werke des Verfassers:
Norbert Gstrein wurde am 3.6.1961 in Mils in Tirol geboren . Nach seiner Matura lebt er als freier Schrifsteller und begann ein Mathematikstudium. Ab 1989 war er ein offizieller „Stadtschreiber“ von Graz. In seinem Erzählband „Einer“ und seinem Roman „Register“ setzte er sich mit Heimat und Fremde auseinander. 1989 bekam er den Preis des Landes Kärnten beim I. Bachmann – Wettbewerb.
Weitere Werke:
- Anderntags 1989
- O2 1993
- Der Kommerzialrat 1995
2.) a) Das vorliegende Werk:
Zeit und Ort des Geschehens:
Jakob ist verrückt geworden. Seine Familie lässt ihn abholen. Um den Augenblick der Trennung hinauszuzögern, erzählen die Angehörigen dem Inspektor in einer bruchstückhaften, rückwärtsgewandten Chronologie das gescheiterte Leben Jakobs. An einigen Textstellen an denen ein Familienmitglied auf die Uhr sieht die beständig halb elf anzeigt, kann man erkennen, dass sie den Augenblick solange wie möglich festhalten wollen: (S47) „Mutter sitzt regungslos am Tisch, unberührt von den Vorgängen da draußen, und schrickt nicht zusammen, als sich in plötzlichem Lärm die Schneefräse in Bewegung setzt. Wir blicken auf die Küchenuhr, halb elf, und spätestens jetzt müßte die Zeit stehenbleiben.“
Das Geschehen spielt sich vollständig in der Küche der Familie ab, wo sie dem Inspektor, der Jakob abholen soll, die Geschichte von Jakobs Leben erzählen. Dass Jakobs Geschichte von anderen erzählt wird, entspricht dem Leben dieses verstörten Menschen, der nie eine Chance bekommt, ein ‚Ich‘ zu sein, ein Gegenstand des eigenen Willens
2.) b) Fabel:
Jakob der verrückt geworden ist, wird von seiner Familie in eine Anstalt eingewiesen. Um den Augenblick der Trennung zu verzögern, erzählen die Familienmitglieder dem Inspektor die Lebensgeschichte Jakobs.
2.) c) Art des Werkes:
Der vorliegende Text von Norbert Gstrein hat viele Merkmale der normalen Erzählung: zum Beispiel beschreibt er ständig nur eine Begebenheit: wie die Familienmitglieder nervös auf eine Küchenuhr blicken, und auf Jakob warten, der abgeholt wird. Die Küchenuhr spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle. Vielleicht verarbeitet Gstrein damit den Stress der modernen Welt. Er lässt die Familienmitglieder immer wieder auf die Uhr blicken, als ob er wüsste, dass sie Jakob nie wieder sehen würden und das durch eigene Schuld. Auch hat die Mutter eine zentrale Position in der Erzählung. Sie ist die einzige Person in Gstreins Roman, die während der ganzen Erzählung sitzt. So bringt er zum Ausdruck wer neben Jakob die wichtigste Rolle im Roman spielt. Vielleicht hat auch bei Gstrein die Mutter eine wesentliche Rolle im Leben gespielt. Auch stellt die vorliegende Erzählung nur eine Begebenheit dar und diese ist auch sehr einfach.
2.) d) Inhaltsangabe:
Jakob, der Sohn eine Gastwirtfamilie, wird von dieser nach langem Warten und gegen den Wunsch der Mutter in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Jakob, ein stiller, verklemmter, fast psychopathischer Mann, hat eine unerträgliche Kindheit. Er lernt schon früh, dass auf dem Gasthof nicht seine Wünsche zählen, sondern die der Gäste: (S55/56) „Als Kinder mochten sie aufbegehrt haben, wenn sie dies und das nicht durften und den Fremden alles erlaubt war und noch mehr, mochten mit hungrigen Blicken hinter dem Küchentisch gesessen sein, wenn auf riesigen Platten die feinsten Gerichte in den Speisesaal getragen wurden, aber sie gewöhnten sich daran, gewöhnten sich schnell daran und würden ihre Söhne mit denselben Worten beschwichtigen, sie auf die Zeit nach der Saison vertrösten und sagen, man müsse das Heu einbringen, solange es dürr ist. Sie fielen nicht aus der zugedachten Rolle.“ So erlebte er eine chaotische Kindheit, hin- und hergerissen vom Gefallen der Gäste und den Aufforderungen der Eltern mehr zu leisten. Er bemerkt bald, dass nicht er, sondern sein älterer Bruder das Wirtshaus erben sollte, auch das trägt zu seiner Lethargie bei. Schließlich erbt sein Bruder das Gasthaus, ein weiterer den Schilift und er wird übergangen. Er erhält zwar immer wieder Beschäftigungen von seinen Brüdern, einmal als Kellner, ein anderes mal als Schilehrer, aber er kann diese Stellungen wegen seiner Einstellung zu den Gästen und seiner zunehmenden Trinksucht nicht halten. Bald will er keine Arbeit mehr und unterhält die Gäste für ein paar Schilling, um die er sich dann sofort ein Glas Wein kauft. Dabei beschützt ihn die Mutter immer, sodass er gratis in ihrem Haus wohnt, zu essen und zu trinken bekommt. Manchmal erhält er einen Becher Wein (aber nur einen billigen) mit dem sich anschließend im Zimmer besäuft. Schließlich überstimmen die Familienmitglieder die Mutter und schicken Jakob am Ende in ein Sanatorium für Geistig behinderte.
3.) a) Inhaltliche Thematik:
Gstrein stellt in diesem Buch sehr deutlich die Behandlung von Personen die anders sind als die Norm deutlich dar. Er prangert damit die moderne Gesellschaft, in der oft Andersartige, die sich nicht in die Gesellschaft einfügen können und somit eine Last für die Allgemeinheit werden, an. Man merkt in diesem Roman deutlich, dass sogar die eigenen Verwandten diskriminierend sind. Sollten wir nicht versuchen die schwarzen Schafe, den Rand der modernen Gesellschaft, wieder in die Gesellschaft einzugliedern, als dass wir ihn weiter verstoßen und somit die letzten noch verbliebenen Brücken abbrechen? In diesem Buch wird der Extremfall dargestellt und alle Brücken werden abgebrochen. Die Familienmitglieder merken nicht, dass sich Jakob nur so ruhig verhält, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Er steht gerne im Mittelpunkt des Geschehens, aber in seiner Familie ist das für ihn nicht möglich. Er wird immer wieder bei den Familienbetrieben zurück- und ausgestoßen, aber er wehrt sich dagegen, nicht laut und rebellisch, sondern leise und mäßig: er beginnt zu trinken, nimmt keine der ihm angebotenen Arbeiten an und bricht alle Freundschaften ab, bis er schließlich nur mehr als „Gaudium“ der Masse existiert und so auf den nächsten Becher Wein wartet, um mit diesem wieder weiter in den Abgrund der Einsamkeit zu fallen. Nur seine Mutter will ihm helfen, aber diese ist schon zu alt, um noch viel auszurichten, und so bestimmen allein seine Geschwister über sein Leben. Er hat über nichts die freie Entscheidung, er ist nur ein arbeitsunwilliges Lasttier, das sich gegen seine Besitzer auflehnt: „Es gab nichts zu sagen, nichts, und was sie unter der Decke Flüsterten, hatte allein Klang und keine Bedeutung. Er fasste sie an, wie er dachte, dass es von ihm gewollt wurde, und sprach, wenn er sprach, weil er glaubte, es wäre zeit dazu.“ (Klappentext)
3.) b)Darstellung:
Der Autor benutzt in dieser Erzählung häufig schwarz – weiß Malerei: So ist Jakob gestört, aber alle anderen sind normal. Dabei drängt sich aber die Frage auf, ob es überhaupt den absolut normalen Menschen gibt? Auch stellt der Autor Jakob als Trinker dar, der sich nicht mehr allein helfen kann, um aus dieser Sucht zu kommen, aber keiner, nicht einmal seine Familie, kann oder will ihm helfen. Sie sehen lieber zu wie Jakob mehr und mehr in den Abgrund gerissen wird. So ist zwar wie oben festgestellt Jakob das schwarze Schaf, aber bei rechter Überlegung sind wohl die anderen die schwarzen Schafe, da sie Jakob nicht helfen, sondern ihn nur mitleidig aus der Entfernung betrachten und ihn schließlich, was ja keine Endlösung für Jakob sein kann, in ein Sanatorium einweisen
Charaktere:
Jakob:
still, schüchtern, Trinker durch negative Beeinflussung der Außenwelt, Mitte 30, kein Beruf, verweigert die Gesellschaft, rebelliert im Stillen,…
Seine Mutter:
gutmütig, naiv, glaubt das sich ihr Sohn bessert, beschützt ihn, gewährt ihm Unterschlupf, ist die Chefin des Hauses,…
Geschwister:
übergehen Jakob, weisen ihn ein, erben Betriebe, gehorchen ihrer Mutter (nur teilweise), geben Jakob teilzeit Beschäftigugen (Schilehrer,Kellner,…), helfen ihm nicht, verstoßen ihn am Ende, reden sich ein, dass es für ihn das beste sei,…
Gstrein verwendet in diesem Buch viele Metaphern: zum Beispiel (S38) Lange seien ihm Touristinnen die einzigen Frauen geblieben. Er lernte sie kennen, wenigstens dem Namen nach, nie näher oder nahe genug, sich geborgen zu fühlen, in den zwei Wochen […] In seiner Erinnerung verschwammen die Unterschiede zu einer gleichbleibenden Wiederholung oder nahmen sich unwirklich aus, nur gemacht, und mitunter, wenn er angestrengt darüber nachdachte, schrumpfte alles im selben Zeitpunkt, dem letzten, zu einem einzigen Bild: wie er in der Kälte eines Wintermorgens einem abfahrenden Auto nachschaute[…]
Auf dieselbe Art und Weise lässt Gstrein alle Erinnerungen Jakobs zu einer einzigen verschmelzen, sodass Jakob eher zu einer Erinnerung wird als zu einem denkenden Wesen.
Das Werk ist in einer Rahmenhandlung dargestellt: Die Geschwister erzählen Jakobs Leben aus ihrer Sicht und berichten so was sie über ihn wissen. So erscheint das ganze Werk distanziert, aber doch wieder detailgetreu erzählt.
3.) c) Sprache:
Der Autor schreibt sein Werk durchgehend in zusammenhängenden Sätzen. Er verwendet oft lange Sätze, um den Leser an das Buch zu binden. Allerdings wirken diese auch oft sehr verwirrt, sodass man einige Stelle mehrfach lesen muss. Die meisten Teile des Buches sind in Standarddeutsch verfasst, allerdings fallen einige Teile in eine „Gossensprache“ ab. Es werden nur wenige Fremdwörter verwandt
4.) Charakteristische Stelle:
Jakobs Geschichte wird von anderen erzählt und entspricht daher dem Leben dieses verstörten Menschen, der nie eine Chance bekommt, ein ‚Ich‘ zu sein, ein Gegenstand des eigenen Willens. Die Textstelle die ich ausgewählt habe zeigt zum Beispiel sehr deutlich die Folgen des Fremdenverkehrs die sich an Jakob und der Dorfgemeinschaft erkennen lassen: (S53/54 & S55/56)
„An dem Abenden ging er mit ihnen aus und hasste sich, dass er nie nein sagte, wenn sie wie selbstverständlich über ihn verfügten: Sie seien nach dem Essen im Hotel, später in der Milchbar oder im Cafê Tirol, du kommst doch, ohne seine Antwort abzuwarten, die zustimmen sein müsste und inbegriffen im Preis, den sie bezahlten. Dann saßen sie um einen großen Tisch, frisch geduscht, gekämmt und lachend vor Freude, fragten wie Kinder, ob man Schnaps in einem Schluck nahm, oder prosteten, wussten es schon besser, erzählten ihr Leben und wollten seines hören, hätten sich am liebsten verbrüdert und den Abend nie wieder vergessen mit seinem Glück. In schamloser Oberflächlichkeit versuchten sie, die Leute im Dorf nachzuahmen, und ahnten nicht, dass längst nichts mehr stimmte und alle verkauft waren für billiges Geld. Ob wir das wisse? Oft saß Jakob schweigend in ihrer Mitte oder sagt bewusst Dummheiten, über denen sie gewöhnlich nicht einen Augenblick innehielten und fortfuhren in ungebrochener Begeisterung. Er musste schon sehr beharrlich sein und dann konnten sie es nicht glauben, wenn er Bedenken äußerte, starrten ihn erstaunt an oder lallten betrunkenes Zeug, und nicht nur einmal habe man ihm einen Arm um die Schulter gelegt und ganz nah, viel zu nah vor seinem Gesicht mit ein paar Worten alles gutzumachen versucht: komm, warum er sich so aufrege, wir sind doch alle deutsch, und Jakob roch den Alkohol und sah wortlos den Mann an, oder die Frau an, die den ganzen Abend schon von der anderen Seite ihren Schenkel an seinen rieb und jetzt schaute, als wäre sie nicht mehr zu halten und wollte ihn auffressen mit Haut und Haar. […]
Ihre Großväter hatten den Großvätern der Gäste gedient und sich hinter deren Rücken lustig gemacht und den Mund zerrissen und jetzt war es spät, für manche vielleicht zu spät, noch einmal zu entkommen. Als Kinder mochten sie aufbegehrt haben, wenn sie dies und das nicht durften und den Fremden alles erlaubt war und noch mehr, mochten mit hungrigen Blicken hinter dem Küchentisch gesessen sein, wenn auf riesigen Platten die feinsten Gerichte in den Speisesaal getragen wurden, aber sie gewöhnten sich daran, gewöhnten
5.) Eigene Wertung:
„Einer“ ist eine sehr interessante Erzählung, da Gstrein sehr anschaulich die Lebensumstände seiner Hauptfigur schildert. So kann man miterleben, wie Jakob immer tiefer in seinen Untergang stürzt und ihm dabei von allen seinen Verwandten und Freunden nicht geholfen wird. Allein die Mutter stellt einen Rettungsanker für ihn dar, den er allerdings nicht ergreift.
Aber auch wenn das Buch sehr interessant durch schreiberische Mittel gestaltet worden ist, so endet es doch etwas wirr. Nur unter Umständen kann man auf die wahre Lösung des Buches schließen: dass Jakob in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wurde. Aber vielleicht macht gerade dies das Buch interessanter, da man hier selbst überlegen muss, und dem Leser nicht alles schon vorgegeben wird.