1. Inhalt
1.1. Romeo & Julia
Im italienischen Verona leben um 1500 zwei angesehene Familien, die seit jeher verfeindet sind. Romeo ist der einzige Sohn der Montagues. Trotzdem will er einen Maskenball im Haus seiner Feinde, der Capulets, besuchen. Dort trifft er auf Julia, die Tochter des Hauses. Die beiden verlieben sich auf den ersten Blick ineinander und erfahren erst danach die Identität des jeweils anderen. Trotz Unbehagens und obwohl Julia bereits Graf Paris versprochen ist, halten sie vehement an ihrer Liebe fest und beschließen zu heiraten. Die Amme des Mädchens, die vermittelt, und Pater Lorenzo, der sie traut, sind die einzigen Eingeweihten. Tybalt, Julias Vetter, hat Romeo und sein Gefolge am Ball erkannt und schwört Rache. Romeo ist nicht bereit, gegen Tybalt zu kämpfen. Mercutio, Romeos bester Freund, greift schließlich Tybalt an, um Romeo zu beschützen. Mercutio stirbt. Romeo läßt den Tod seines Freundes nicht ungesühnt und tötet Tybalt. Wegen dieser Tat verbannt ihn der Prinz von Verona nach Mantua. Doch vorher kann er noch eine Nacht mit seiner Frau verbringen, die ihm verzeiht, daß er ihren Vetter tötete. Julias Vater zwingt sie, den Grafen Paris zu heiraten. Um diesem Schicksal zu entgehen, schluckt sie in der Nacht vor der Hochzeit ein Gift, das sie 40 Stunden schlafen läßt, damit ihre Familie und der Graf glauben, sie sei tot. Der Pater will Romeo von dem Plan informieren, doch der Brief kommt nie bei Romeo an. Dieser vernimmt in der Zwischenzeit die Nachricht von Julias Tod und kommt nach Verona zurück. In der Gruft der Capulets tötet er vorher noch den Grafen Paris und nimmt nun das vorher gekaufte Gift zu sich. Er stirbt neben der eben erwachenden Julia. Pater Lorenzo versucht sie zum Leben zu überreden, aber Julia nimmt den Dolch ihres Mannes und tötet sich selbst. Durch die verbindende Trauer um ihre Kinder können die Herren Capulet und Montague endlich den Haß begraben.
1.2. Westside Story
An der Westside von New York stehen einander zwei rivalisierende Gangs gegenüber. Die Jets, Amerikaner unter der Führung von Riff, und die Sharks, Puerto-Ricaner unter der Führung Bernardos. Um die Vorherrschaft auf der Straße zu klären, soll ein Kampf stattfinden. Riff überredet Tony, Ex-Jet und sein bester Freund, dem Kriegsrat beizuwohnen. Bernardos Schwester Maria, die gerade erst in N.Y. angekommen ist, um Chino zu heiraten, ist ebenfalls da. Tony und Maria verlieben sich sofort ineinander. Die einzige, die etwas von der Beziehung weiß, ist Anita, Bernardos Freundin. Am Tag danach heiraten sie im Hochzeitsladen, in dem Maria arbeitet. Tony will daraufhin die Auseinandersetzung zwischen Jets und Sharks nicht zulassen und versucht zu vermitteln, indem er Bernardo seine Freundschaft anbietet. Der stößt ihn nur fort und Riff greift ein, um Tony zu schützen, dabei wird er verwundet und stirbt. Tony tötet daraufhin im Affekt Bernardo. Chino teilt es Maria mit und bemerkt an ihrer Reaktion, daß sie Tony liebt. Tony flieht zu Maria, die ihm verzeiht. Als Officer Kruppke Maria befragen will, müssen sich die Liebenden trennen. Die trauernde Anita kann nicht verstehen, daß Maria dem Mörder ihres Bruders verzeiht, läßt sich schließlich aber doch überreden Tony, der sich im Keller von Doc’s Laden versteckt, eine Nachricht zu überbringen. Doch als Anita im Laden eintrifft, wird sie von den anwesenden Jets am Treffen mit Tony gehindert, gedemütigt und beschimpft. In ihrem Ärger erzählt sie, daß Chino Maria erschossen hat. Tony erfährt dies durch Doc und will Chino finden, damit dieser auch ihn töten kann. Auf einmal sieht er Maria und läuft auf sie zu, aber im gleichen Moment kommt Chino und erschießt ihn tatsächlich. Tony stirbt in den Armen Marias. Die Jets und die Sharks tragen ihn gemeinsam weg.
2. Vergleich
2.1. Julia / Maria
Julia ist zum Zeitpunkt des Geschehens erst 14 Jahre alt und unerfahren, was die Liebe betrifft. Als sie die Nachricht der Mutter erhält, daß Graf Paris um sie wirbt, ist sie unsicher, was zu tun ist. Fromm will sie sehen, ob Neigung entsteht. Sie scheint vorher nicht über die Liebe nachgedacht zu haben.
Maria hingegen ist nicht so schüchtern, sondern voller Tatendrang und bereit für Amerika und die Liebe. Bernardo hat Chino für sie als Bräutigam ausgewählt, doch sie weiß, daß er nicht der Richtige ist. Im Beisein Chinos trifft Maria Tony.
Diese Szene ist wie bei Romeo & Julia: Während Julia mit Graf Paris tanzt, nähert Romeo sich ihr und beide wissen sofort, daß sie einander gefunden haben, obwohl Julia sich anfangs sanft distanziert um nicht den Kopf zu verlieren. Sie deutet sein Begehr als “sittsam andachtsvollen Gruß eines frommen Pilgers” und läßt sich trotz der bereits entflammten Leidenschaft füreinander erst auf sein Bitten hin von ihm küssen. Kurz darauf erfährt sie, wer er ist. “So einz’ge Liebe aus großem Haß entbrannt, ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt”. Julia ist sich durchaus des Risikos der Entdeckung mit allen Konsequenzen – sogar dem Tod Romeos (“die Stätt’ ist Tod, bedenk nur, wer du bist”) – bewußt.
Maria in der Westside Story vergißt in dem Moment, als sie Tony zum ersten Mal sieht und auf ihn zugeht, alles um sich herum. Mit der Selbstverständlichkeit eines lang verheirateten Paares scheinen sie sich durch und durch zu kennen. Die beiden müssen die Herkunft des jeweilig anderen ahnen, sind doch nur Jets und Sharks anwesend. Bernardo erkennt die Gefahr und stört die weltvergessene Zweisamkeit. Auf die Frage ihres Bruders “Hast du denn nicht gesehen, daß er einer von denen ist?” antwortet Maria mit ”Nein, ich habe nur ihn gesehen”. Maria ist die einzige, die sich von Liebe, nicht von Haß leiten läßt, da sie erst seit kurzem hier ist und so haben sich die Aggressionen ihrer Landsleute gegenüber den Amerikanern auf sie noch nicht ausgewirkt. Wahrscheinlich würde Maria auch nicht durch die Beeinflussung anderer Puerto-Ricaner zulassen, daß Vorurteile ihre Beziehung zu Menschen ändern würden. Sie weiß, daß Tony die Liebe ihres Lebens ist und negiert die Tatsache, daß sie ihm eigentlich feindlich gesinnt sein müßte, wenn sie ihr Umfeld (Bruder, Eltern, andere Sharks) nicht enttäuschen will.
Julia hingegen ahnt ein verhängnisvolles Schicksal (“Oh, Gott. Ich hab ein Unglück ahnend Herz. Mir deucht, ich seh’ dich, da du unten bist, als lägst du tot in eines Grabes Tiefe”), als Romeo die Nacht bei ihr verbringt. Als ihr Vater sie zwingt den Grafen Paris zu heiraten, verzweifelt sie und flüchtet zu Pater Lorenzo. Mutlosigkeit und Schwermut haben Julia derart übermannt, daß sie Suizid begehen will. Erst als der Pater ihr seinen Plan mitteilt, schöpft sie neue Hoffnung, der Hochzeit entgehen und mit Romeo gemeinsam leben zu können.
Kurz nachdem Tony in ihren Arm starb richtet Maria die Waffe gegen die anderen und erwägt auch sich selbst mit chinos Waffe zu richten “Wieviele kann ich damit töten? Wieviele, um noch eine Kugel für mich übrig zu haben.” Doch sie legt die Waffe weg und begegnet dem Haß und der Aggression mit dem Willen zum Lieben und Verzeihen, indem sie sich für ein Weiterleben entscheidet. Für jemanden, der so liebt, wäre der Tod und somit die Vereinigung mit dem Geliebten wahrscheinlich der wünschenswertere Ausweg, aber Maria trotzt dem Schicksal und erreicht durch ihren Entschluß eine Annäherung der beiden Feinde. Ihr Mut und das Bestreben weiter zu existieren mahnt alle Beteiligten. Während Julia ihrem Gefühl und der Todessehnsucht nachgibt, fällt Maria den reiferen und für die Gesellschaft wichtigeren Entschluß.
2.2. Romeo / Tony
Romeo wird in der Pose eines melancholischen jungen Mannes gezeigt, der mit all seinen Sinnen liebt und darum lebt. Er schwärmt für Rosalinde (die übrigens das ganze Stück über nicht auftreten wird), man muß aber – aufgrund der Bedingungslosigkeit, mit der Romeo dieses Mädchen nach dem Kennenlernen Julias vergißt – annehmen, daß der Verzicht auf sie nicht der wirkliche Anlaß für seinen Kummer ist, sondern eher das allgemeine, romantische Verlangen nach tiefer Zuneigung. Diese Sehnsucht unterscheidet ihn von seinem Freundeskreis, deren Interessen und Gedanken weit trivialer sind.
t wird als ein reifer, intelligenter Mann beschrieben, dessen einstige pubertären Interessen nicht mehr mit seinen Erwartungen von heute übereinstimmen. Er war es nämlich, der gemeinsam mit Riff, die Jets zum Leben erweckte und so eine Gang schuf, die für ihre Mitglieder mehr bedeutet als Freizeitbeschäftigung und Gemeinschaft, sie ist auch ihre Familie, eine Art Zuflucht vor Eltern und Gesellschaft. Die Jets verstehen es als ihre ideologische Pflicht “ihr” Land, dh den Spielplatz und die umliegenden Häuserblocks, zu verteidigen.
Tony spürt, daß sich in seinem Leben etwas ändern wird, er nimmt ein positives Ereignis in seiner Zukunft wahr: “etwas wird kommen, etwas gutes!”, er kann noch nicht wissen, daß er dieses Etwas genau dort trifft, wo er es am wenigsten vermutet. Nur mit Mühe kann Riff Tony davon überzeugen mit zum Tanzabend zu gehen, wo sie sich mit den Sharks treffen werden, und genau da, läuft Tony Maria über den Weg. Abseits vom Trubel der abwechselnden Tanzszenen, bei denen sich in Form von Übertrumpfungsversuchen schon die angespannte Situation und die Aggressionen zeigen, bemerkt Tony m. Sofort weiß er, daß er gefunden hat, was er suchte und erwartete. “Ich fühlte, ich wußte, etwas – vorher nie dagewesenes – würde passieren, mußte passieren.” waren seine Worte, nachdem er Maria zum ersten mal gesehen hatte.
Die eigentlich geplante Auseinandersetzung zwischen Jets und Sharks, die alle Bandenmitglieder umfassen sollte, wurde dank Tonys Einmischung wenigstens auf einen fairen Kampf zwischen zwei Rivalen reduziert, m durch ein Versprechen verpflichtet, will t den Akt der Aggression ganz verhindern. Als er den Schauplatz erreicht, – das Geschehen ist bereits im Gange – streckt er Bernardo seine Hand als Zeichen des Respektes entgegen, doch Bernardo nimmt die Geste nicht an. Die guten Absichten Tonys verhärten die Fronten immer mehr, denn durch seine pazifistische Haltung und die daraus resultierende Weigerung gegen Bernardo zu kämpfen (Bernardo: “Vielleicht hast du jetzt den Mut, deine eigenen Kriege zu kämpfen”, t: “Ich brauche keinen Mut, nur weil du eine Schlacht hast. Aber wir haben keine!”) provozieren Bernardo und t erreicht so den gegenteiligen Effekt, nämlich das Eskalieren des Konfliktes, bei dem Riff getötet wird. t ist sich über seine Teilschuld am Tod seines besten Freundes bewußt, im Affekt ersticht er den Mörder: Bernardo, Bruder seiner Liebsten und gleichzeitig verhaßter Feind. Zerrissen und verstört über die eigene Tat, flüchtet er zu m. “Ich versuchte es zu stoppen, ich wollte es stoppen. Ich weiß nicht wie es passiert ist,…Ich wollte ihm nicht weh tun, aber Riff, … er war wie mein Bruder!” t erbittet Marias Verzeihen bevor er die Polizei aufsuchen will, er verbringt aber schließlich, von m dazu überredet, die Nacht bei ihr.
Romeos Haltung ist meist die eines unzufriedenen, selbstmitleidigen und dekadenten jungen Mannes, vom Pech verfolgt und vom Schicksal verhaßt. Im Kontrast dazu steht seine überschwengliche, positive Liebe zu j, die ihn seiner grauen, gedankenverhangen Welt entreißt, die ihn das Tageslicht meiden und die Nacht verherrlichen läßt. “Allein sobald im fernsten Ost die Sonne, die all’erfreu’nde, von Aurora’s Bett den Schattenvorhang wegzuziehn beginnt, stiehlt vor dem Licht mein finstrer Sohn sich heim und sperrt sich einsam in sein Kämmerlein, verschließt dem schönen Tageslicht die Fenster und schaffet künstlich Nacht um sich herum.” Diese Attitüde veranlaßt r auch dazu, an der vom Prinzen verhängte Strafe für sein Verbrechen fast zu verzweifeln.
Bevor er in ihren Armen stirbt, entwickelt sich noch ein Dialog zwischen den beiden, der zeigt, daß die Liebe für beide richtig war, nur der Ort und das Umfeld waren falsch. Tony: “Ich habe wohl nicht genug daran geglaubt.”, Maria: “Lieben ist genug!”, Tony: “Nicht hier, sie würden uns nicht in Ruhe lassen.”; Maria: “Dann werden wir weggehen.”, Tony: “Ja, wir können. Ja, wir werden!”. Das Vertrauen in die Liebe ist für Tony Garantie dafür, daß die Liebe siegt. Doch er muß feststellen, daß Lieben und Glauben allein eben nicht reicht um nach seinen Vorstellungen leben zu können bzw. leben zu dürfen.
2.3. Tybalt/Bernardo
Tybalt, Neffe des großen Capulet und somit Julias Cousin, sieht sich selbst als Vertreter seiner Familie in bezug auf die Auseinandersetzung mit den Montagues. Er hat nicht die Absicht das Friedensangebot von Benvolio, dem besonnen Vetter Romeos, anzunehmen, geschweige denn, selbst für das Ende des Kampfes zu sorgen. Benvolio: “Ich stifte Frieden, steck dein Schwert nur ein! Wo nicht, so führ es, diese hier zu trennen!”, Tybalt: “Was? Ziehn und Friede rufen? Wie die Hölle hass’ ich das Wort, wie alle Montagues und dich!” Sein Stolz ein Montague zu sein und die Vehemenz, mit der er für den Ruf und das Ansehen seiner Familie, und somit auch für sich, kämpft, lassen ihn blind werden für Kompromisse. Ist sein Kampfgeist erst einmal geweckt – und dazu braucht es keinen plausiblen Grund – steigert sich seine Aggressivität ins Unermeßliche. Als Romeo es wagt am Maskenball der Capulets zu erscheinen, erzürnt dies Tybalts Gemüt derart, daß er am Fest Unfrieden stiften will. Von Capulet davon abgehalten, sinnt Tybalt auf Rache zu einem späteren Zeitpunkt. “Ich gehe, doch so frech sich aufzudringen, was Lust ihm (Romeo) macht, soll bitt’ren Lohn ihm bringen.”
Bernardo behandelt seine Schwester wie ein kleines Mädchen, er hält es nicht für möglich, daß Maria andere Ansprüche an ihr Leben stellt, als Bernardo sie ihr vorschreibt, darum sucht auch er den passenden Bräutigam für sie. Ohne Maria zu fragen, nimmt er an sie stimme ihm bei seiner Wahl zu und er ist überrascht über ihre Selbstinitiative und ihren Ungehorsam, als sie mit Tony tanzt. Abgesehen von dieser Bevormundung verhält er sich ihr gegenüber freundlich und sanft. Seine Attitüde die Jets betreffend ist äußerst aggressiv und ablehnend.
2.4 Mercutio/Riff
Mercutio ist ein geschwätziger, frivoler Bursche, der an zweideutigen Aussagen nicht zu übertreffen ist. Romeos bester Freund und Verwandter des Prinzen von Verona ist durch seinen Spott, die Capulets allgemein und Tybalt im besonderen betreffend, oft mitverantwortlich für das Entstehen von Straßenschlachten. Durch seine egozentrische Art genügt es ihm nicht allein anwesend zu sein, nein, er will provozieren. Tybalt: “Guten Tag, meine Herren, ein Wort mit einem von euch.”, Mercutio: “Nur ein Wort mit einem von uns? Gebt noch was dazu: laßt es ein Wort und ein Schlag sein.” Tybalt: “Dazu werdet ihr mich bereit genug finden, wenn ihr mir Anlaß gebt.” Mercutio: “Könntet ihr ihn nicht nehmen, ohne, daß wir ihn geben?”
Bei Romeo & Julia wird das Rad, das sich durch Mercutios Tod zu drehen begann, durch den Urteilsspruch des Prinzen angehalten, aber erst durch den Doppelselbstmord der beiden Liebenden endgültig gestoppt.