Wie hat sich das europäische Mächtesystem in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s verändert?
Die Kriege in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des 19. Jh.s sowie die nationalen Einigungen Italiens und Deutschlands veränderten das seit 1815 in Europa bestehende Mächtesystem grundlegend. Vor allem mit dem Deutschen Reich war ein neuer politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor entstanden.
Bismarck versucht, das „Erreichte“ zu sichern.

Der Balkan – eine Krisenzone Europas:
Eine besondere Krisenzone der internationalen Politik bildete der Balkanraum. Dort prallten die Interessen der Regierungen Russlands, Österreichs und des Osmanischen Reiches unmittelbar aufeinander. Überdies existierten hier zahlreiche nationale Bewegungen. Im Sinne des Panslawismus betrachtete sich Russland als Führungsmacht der slawischen Völker.

Neue Bündnisse entstehen:
1879 schlossen die beiden europäischen Mittelmächte Deutschland und Österreich den Zweibund, der später durch den Beitritt Italiens zum Dreibund erweitert wurde. 1883 ging Rumänien ein Schutzbündnis mit Österreich-Ungarn ein, dem das Deutsche Reich und Italien beitraten. Auch kam es zu einem Ausgleich der Balkaninteressen zwischen Österreich und Russland. Dies ermöglichte 1881 den „Dreikaiservertrag“ zwischen Deutschland, Russland und Österreich. Während der Dreibund bestehen blieb, konnte der „Dreikaiservertrag“ nicht mehr erneuert werden. Die Gegensätze am Balkan zwischen Österreich und Russland erwiesen sich als zu groß. Schrittweise verschlechterten sich aber auch die deutsch-russischen Beziehungen. Daraus entwickelte sich eine Annäherung Russlands an Frankreich, das dem Zarenreich das für die Industrialisierung und den Eisenbahnbau notwendige Kapital zur Verfügung stellt.
So veränderte sich in den Achtzigerjahren das europäische Mächtesystem erneut. Gleichzeitig setzte die imperialistische Expansion mit aller Heftigkeit ein.

Die imperialistischen Mächte Europas und ihre Kolonialgebieten

Großbritannien – Welt- und Kolonialmacht seit langem:
Nach dem Verlust der nordamerikanischen Kolonien zielte die Kolonialpolitik darauf ab, indirekten Einfluss zu gewinnen, den Handel zu fördern und der Industrie Märkte offen zu halten. 1875 erwarb die britische Regierung 40 Prozent der Aktien der Suezkanalgesellschaft und damit setzte sich Großbritannien an dem für ihn so wichtigen Seeweg nach Indien fest.

Ägypten – ein Fallbeispiel:
Ägypten lag an der wichtigen Verbindung vom Mittelmeer nach Asien. Es besaß daher für Europas Großmächte, besonders für Großbritannien, große Bedeutung. 1869 – Fertigstellung des Suezkanals – Seeweg nach Indien und dem Fernen Osten. Die hohen Bau- und Kreditkosten hatten zu einer argen Verschuldung bei europäischen Banken geführt. Unter dem Druck Großbritanniens und Frankreichs wurde Ägypten eine europäische Finanzaufsicht auferlegt.

Frankreich – auch die Republik betreibt Imperialismus:
Frankreich hatte bereits 1881 Tunesien annektiert.
In Frankreich entstanden Kolonialvereine, die in der Öffentlichkeit für eine aktive Kolonialpolitik Propaganda machten. Die Expansion erstreckte sich vor allem auf Nord- und Westafrika sowie auf Südostasien wo große zusammenhängende Territorien unterworfen wurden.

Belgien – ein Kleinstaat expandiert:
Die Wirtschaftskrise von 1873 traf das Land in erheblichem Maße. Zur Entschärfung der Probleme schlug König Leopold II. eine aktive Kolonialpolitik vor – Gründung einer Forschungsgesellschaft, welche Reisen unternahm, gleichzeitig aber auch im Gebiet des Kongo Land für den belgischen König erwarb.

Das Deutsche Reich – der „späte Weg“ zur Weltmacht:
1882 entstand ein von Bankiers, Unternehmern und Bildungsbürgern geförderter privater „Kolonialverein“. Wenig später wurden die „Gesellschaft für Deutsche Kolonialisation“ und die „Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwest-Afrika“ gegründet. Deutsche Kaufleute aus Hamburg und Bremen errichteten in Ost- und Südwestafrika Handelsniederlassungen.
1884/85 verkündete die Regierung die offizielle Schutzherrschaft über „Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia), „Deutsch-Ostafrika“ (heute Tansania), Togo, Kamerun und die ersten eroberten Inseln im Pazifik. Die imperialistische Machtpolitik führte in den Neunzigerjahren zu weiteren Eroberungen in China und im Pazifik.

Russland – ein Agrarstaat expandiert:
Russlands Expansionspolitik zielte in Europa in Richtung Balkan. In Asien richtete sie sich gegen Süden und erreichtet hier den Kaukasus, das Hindukuschgebirge und das Hochland von Pamir. Russische Expansion fand aber auch im Fernen Osten statt. Sie richtete sich besonders gegen das von vielen Seiten bedrohte China. Russland gewährte China auch hohe Kredite, übernahm dafür aber die Kontrolle über die Zolleinnahmen. Wenig später „pachtete“ es die Halbinsel Liantung mit dem eisfreien Hafen Port Arthur und im Zuge des „Boxeraufstandes“ wurde die Mandschurei besetzt.

Was waren die Faktoren des Imperialismus?

Industrialisierung und Welthandel schufen die ökonomischen Grundlagen und das Kapital für die imperiale Expansion. Im Einzelnen wirkten jedoch eine Vielzahl von Faktoren zusammen. Die Kolonien galten als:
  • Märkte für die Industrieproduktion
  • Rohstofflieferanten
  • Anlagemöglichkeiten für das Kapital
  • Siedlungsräume für die Bevölkerung
Die vielen Formen des Imperialismus hatten auch gemeinsame Merkmale: Nationalismus und Rassismus. Der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Nation und der weißen Rasse war in Europa und in den USA weit verbreitet.

Der Imperialismus Chinas, Japans und der USA?

China – von vielen Seiten bedroht:
Um 1840 zeigten von den ausländischen Mächten erstmals die Briten ihre Stärke, nachdem die chinesische Regierung den Opiumhandel einer britischen Handelskompanie unterbinden wollte. Unter dem Druck britischer Kriegsschiffe mussten die Häfen geöffnet und den Briten freie Schifffahrt und Zoll- und Handelsbegünstigungen gewährt werden. Hongkong wurde britische Kolonie.
Gegen die zunehmende äußere Bedrohung, aber auch aus inneren Ursachen brach 1900 der Aufstand der „Boxer“ los. Sie waren eine von vielen Geheimgesellschaften Chinas, welche die alte Ordnung wiederherstellen wollten. Ein internationales Truppenkontingent unter deutscher Führung schlug den Aufstand nieder.
In China bereitete sich allerdings bereits eine neue Revolution vor. Diesmal orientierte man sich stärker an europäischen Entwicklungen wie Volkssouveränität, Nationalstaat, Demokratie und Sozialismus. Die erste große Revolution im 20. Jh. in China führte 1911 zum Sturz des Kaisertums und zur Errichtung der Republik. Die Abhängigkeit des Landes von den Großmächten wie Großbritannien, Japan oder den USA blieb jedoch weiter bestehen.

Japan – eine neue Großmacht in Asien:
1853 zeigten amerikanische Schiffe in der Bucht von Tokio die Macht der USA, deren Ziel die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit Japan war. Mit dem Schicksal Chinas vor Augen setzten sich in Japan trotz heftiger innerer Konflikte jene Kräfte durch, die für eine Öffnung des Landes und den Abschluss von Handelsverträgen waren. Es folgte eine Umgestaltung „von oben“, die Japan binnen weniger Jahrzehnte zur Großmacht werden ließ. Die Umgestaltung Japans erfolgte nicht ohne Widerstand. Vor allem die ehemaligen Samurai verloren ihre wirtschaftliche und soziale Stellung, sodass zwischen 1869 und 1874 jährlich mehrere Aufstände stattfanden.

 
Die Reformen setzten an die Stelle der alten feudalen Strukturen einen straffen staatlichen Zentralismus. Eine Landreform wurde durchgeführt, die den Bauern bessere Besitzrechte einräumte. Dies bedeutete allerdings nicht eine materielle Besserstellung. Die Realeinkommen auf dem Land stiegen erst nach 1900 an. Die Zentralgewalt spürten die Bewohner im Dorf durch die Anwesenheit landwirtschaftlicher Berater, besonders aber durch neue Steuern und die allgemeine Wehrpflicht. Das Schul- und Erziehungssystem wurde verstaatlicht. Auch eine Industrialisierung setzte ein.
Diese Entwicklung nach europäisch-amerikanischen Vorbildern machte Japan bis 1890 zu einem wirtschaftlich aufstrebenden und militärisch mächtigen Staat. Die Macht lag bei Kaiser und der Regierung, bei der Bürokratie und einigen Familien, die vor allem das Bankwesen und die Wirtschaft beherrschten. 1895, nach einem militärischen Sieg über China, wurde Japan in Ostasien zur imperialistischen Macht.

Die USA – von der Kolonie zur Weltmacht:
Um 1840 setzte in den USA der Prozess der Industrialisierung ein. Schon gegen Ende des Jahrhunderts waren die USA eine wirtschaftliche Weltmacht und produzierten beinahe ein Drittel der Industriegüter der Welt. Diese industrielle Entwicklung führte zu vielen Veränderungen in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Schon lange hatten die USA Lateinamerika und den pazifischen Raum als einen Bereich der politischen Einflussnahme angesehen und als Absatzmarkt für ihre industriellen und landwirtschaftlichen Produkte genutzt. Unternehmerverbände forderten eine Ausweitung der Exportmöglichkeiten. Dies sollte durch eine „Politik der offenen Tür“, aber auch durch Landgewinn geschehen. Hinzu kam, dass eine imperialistische Außenpolitik von den großen inneren Konflikten ablenken konnte. Ein Senator drückte dies mit Blick auf China so aus: „Wir brauchen den Markt, oder wir bekommen eine Revolution.“

 
In den Neunzigerjahren wurde in den USA mit dem Ausbau der Flotte begonnen und um die Jahrhundertwende landete sie 37 mal an fremden Küsten. 1898 wurde die Pazifikinsel Hawaii annektiert. Im selben Jahr unterstützten die USA den Aufstand auf Kuba gegen die spanische Kolonialherrschaft. Kuba war für die amerikanische Zuckerindustrie von besonderer Bedeutung. Puerto Rico, die Pazifikinsel Guam sowie die philippinischen Inseln fielen nunmehr unter amerikanischer Herrschaft. Die Philippinen blieben bis 1946 amerikanische Kolonie. Kuba erlangte zwar die Selbständigkeit, doch erzwangen sich die USA ein Interventionsrecht auf der Insel. Dieses „Recht auf Intervention“ wurde für die gesamte Region beansprucht und gegenüber Mexiko, Nicaragua, Haiti und der Dominikanischen Republik auch zur Anwendung gebracht. In Panama sicherte sich die amerikanische Regierung die Kanalzone, um den strategisch und wirtschaftlich so wichtigen Panamakanal fertig zu stellen (1914). Gleichzeitig traten amerikanische Banken und Unternehmer immer stärker als Investoren und Kreditgeber in Mittel- und Südamerika auf, deren Rohstoffquellen von großem Interesse war.

Basisdatum:
1871: Gründung des Deutschen Reiches.

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