Metamorphosen – 01, 089-162 (Die vier Weltalter)
Zuerst entstand das goldene Zeitalter, das durch keinen Richter, freiwillig, ohne Gesetz Treue und Recht pflegte. Strafe und Angst fehlten, weder las man Worte der Drohung auf angeschlagenen Gesetzestafeln, noch fürchtete die flehende Schar das Antlitz ihres Richters, sondern sie war geschützt ohne Richter. Die gefällte Fichte war noch nicht von ihren Bergen in die klaren Wellen herabgestiegen, um den fremden Erdkreis zu sehen, und die Menschen kannten keine außer ihrer Küste.
Noch nicht umgaben die abschüssigen Gräben die Städte, nicht gab es Kriegstrompeten aus geraden, nicht Hörner aus gekrümmtem Erz, keine Helme und keine Schwerter: Ohne Bedarf an Soldaten verbrachten die Völker sicher die angenehme Freizeit. Die Erde selbst gab auch frei von Abgaben und unberührt von Hacken und durch keine Pflüge verletzt alles von sich aus, und sie sammelten zufrieden mit der ohne Zwang gewachsenen Nahrung, Früchte vom Erdbeerbaum und Erdbeeren vom Gebirge, Kornelkirschen und Brombeeren, die am unempfindlichen Brombeerstrauch hingen und Eicheln, die vom weit ausladenden Baum des Jupiter heruntergefallen waren.
Es war ewiger Frühling und sanfte Winde bewegten mit lauen Lüften die wild wachsenden Blumen. Auch trug bald die ungepflügte Erde Getreide, und der nicht erneuerte Acker schimmerte silbern mit vollen Ähren. Bald flossen Flüsse von Milch, bald Flüsse von Nektar, und der goldgelbe Honig tropfte von der grünen Steineiche. Seitdem, nach der Verbannung Saturns in die Unterwelt, die Welt unter Jupiter war, folgte das silberne Geschlecht nach, schlechter als Gold, aber wertvoller als das rotgelbe Erz. Jupiter kürzte die Zeit des alten Frühlings und er teilte nämlich, durch Winter, Sommer und durch einen unbeständigen Herbst und einen kurzen Frühling, das Jahr durch vier Zeiträume.
Damals erglühte zuerst die durch den trockenen Sommer versengte Luft, und das durch den Wind zusammengezogene Eis hing herab. Damals betrat man zum ersten Mal Häuser – die Häuser waren Höhlen und dichte Sträucher und mit Rind umwundene Zweige. Damals wurden zum ersten Mal Getreidesamen in langen Furchen versenkt und die vom Joch geknechteten Jungstiere stöhnten. Nach jenem Geschlecht folgte ein drittes, ehernes Geschlecht, wilder von Sinnesart und bereiter zu schrecklichen Waffen, dennoch nicht frevelhaft. Das letzte ist von hartem Eisen. Unverzüglich brachen in das Zeitalter des schlechten Metalls alle Sünden herein.
Es flohen Scham, Wahrheit und Treue; auf ihren Platz traten Betrug und List, Verrat und Gewalt, und Liebe zum Frevel. Der Seemann vertraute den Winden die Schiffe an (und bisher kannte er jene nicht gut): und die Schiffe, die lange Zeit auf den hohen Bergen gestanden waren, jauchzten in den unbekannten Fluten. Und ein genauer Feldmesser bezeichnete mit einer langen Grenze den, früher wie das Licht der Sonne und die Luft, gemeinsamen Erdboden. Und man forderte vom reichen Erdboden nicht nur die Saat und die geschuldete Nahrung, sondern man ging auch in den Bauch der Erde, und man hatte die Schätze, die sie geborgen hatte und die sie den Schatten des Styx nahegebracht hatte, ausgegraben, als Anreiz zum Bösen.
Und schon war das schädliche Eisen und das Gold, schädlicher als Eiden, hervorgegangen: es entsteht Krieg, der nach beiden Seiten kämpft und der mit blutiger Hand die klirrenden Waffen zusammenschlägt. Man lebt vom Raub; der Gastfreund ist nicht sicher vor dem Gast, der Schwiegervater nicht vor dem Schwiegersohn; auch die Gunst der Brüder ist selten.
Der Mann trachtet nach dem Verderben der Gattin, jene nach dem des Gatten; die schrecklichen Stiefmütter mischen tödlichen Eisenhut; der Sohn forscht vor der Zeit nach den Jahren des Vaters. Und die jungfräuliche Göttin der Gerechtigkeit verlässt als letzte der Götter die von Gemetzel triefenden Länder. Und damit der steile Äther nicht sicherer als die Erde wäre, sagt man, daß die Giganten nach dem himmlischen Reich getrachtet haben, und daß sie die zusammengefügten Berge zu den hohen Sternen aufgeschichtet hätten.
Dann durchbrach der allmächtige Vater den Olymp mit einem geschleuderten Blitz, und er stürzte den Pelion vom untergelegten Ossa herab. Als die schrecklichen Körper dalagen, durch die Riesenlast, die sie selbst aufgeschichtet hatten, bedeckt, sagt man, daß die vom vielen Blut der Geborenen bedeckte Erde getrieft habe, und daß sie das warme Blut belebt habe, und aß sie es in die Gestalt von Menschen verwandelt habe, damit wenigstens Erinnerungszeichen ihres Stammes blieben, aber auch jene Nachkommenschaft war eine Verächterin der Götter und sie war sehr begierig nach wildem Mord und sie war gewaltsam: Man hätte wissen können, daß sie aus Blut geboren worden waren.